Kapitel 7

7. Zwischenfazit

Dem ursprünglich seinerzeit erkannten und bemängelten „schwankenden Zustand“ konnte mit dem Erlass der beiden neuen Gesetze ein Ende gemacht werden.

Eines der Hauptziele des Verfahrens – neben der Beseitigung bestehender Widersprüche und dem Schließen von Regelungslücken – war die Stärkung der Verwaltung des Herzogtums. Sie sollte im öffentlichen Interesse die Vertretung der öffentlichen Flüsse übernehmen und dabei etwa gegen „schädliche Eigenmächtigkeiten“ von Stauwerksbetreibern vorgehen. Popularklagen waren in Braunschweig nicht zulässig, so dass nur die Verwaltung im Interesse der Allgemeinheit tätig werden konnte, solange durch (schädliche) Gewässernutzungen keine Privatrechte Dritter beeinträchtigt wurden. Selbst wenn das der Fall war, hing es aber immer noch vom Zufall ab, ob Private sich gegen Beeinträchtigungen ihrer Rechte zur Wehr setzten oder nicht. Künftig sollte das nicht mehr vom Zufall abhängen, so dass neben dem Erlass der materiellen Bestimmungen nicht zuletzt den Vorschriften über die Zuständigkeit einzelner Behörden und über das Verwaltungsverfahren große Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Dadurch konnte das Verwaltungsverfahren deutlich vereinfacht und damit im Ergebnis beschleunigt werden. Ursprünglich waren es die langen, kostenträchtigen, von den Gerichten zu entscheidenden Rechtsstreitigkeiten, die sich hemmend auf wirtschaftliche Unternehmungen auswirkten. Soweit möglich, wurde daher den Gerichten durch den Erlass des neuen, nun überwiegend öffentlich-rechtlichen Wasserrechts die Kompetenz zur Entscheidung derartiger Konflikte entzogen und den Verwaltungsbehörden übertragen. Lediglich über einzelne Fragen hatten die Gerichte noch zu entscheiden, namentlich über die anlässlich von Zwangsenteignungen zu leistenden Entschädigungen.

Nicht zuletzt durch die Vorschriften beider Gesetze zur Zuständigkeit einzelner Behörden und der Gerichte sowie zum Verwaltungsverfahren konnte darüber hinaus eine Lösung für das 1849 offen zu Tage getretene Dilemma der Behörden gefunden werden. Den Kreisdirektoren etwa war seinerzeit durchaus bewusst, dass sie ohne entsprechende Ermächtigungsgrundlagen keine Anordnungen zur Gewässerunterhaltung treffen, insbesondere nicht ohne gesetzliche Grundlage in durch die Verfassung geschützte Privatrechte eingreifen durften (s. §§ 32, 33 NLO). Andererseits mussten sie derartige Maßnahmen ergreifen, wollten sie die Flüsse für die Landwirtschaft und die Industrie möglichst nutzbar machen, indem sie etwa durch Flussausbau oder -begradigung, Befestigung der Ufer usw. für einen optimalen Abfluss des Wassers sorgten. Auch hatten sie keine Handhabe gegen Betreiber rechtmäßig errichteter und betriebener Stauwerke. In ordnungsgemäß erworbenen Nutzungsrechte konnte nicht eingegriffen werden, solange der Anlagenbetrieb nicht zu einer Gefährdung Dritter durch Hochwasser etwa und damit zu eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit führte, gegen die auch auf der Grundlage polizeirechtlicher Generalklauseln zur Gefahrenabwehr hätte eingeschritten werden können. Solange die Verwaltung alle an ihren Maßnahmen Interessierten, weil davon Profitierenden, von der Angemessenheit getroffener Anordnungen überzeugen konnte und ihren Verfügungen dementsprechend auch nicht widersprochen wurde, mochte das Verwaltungshandeln zwar rechtswidrig sein, was aber – solange sich kein Betroffener dagegen zur Wehr setzte – folgenlos bleiben konnte. Anders hatte es sich verhalten, wenn die von behördlichen Maßnahmen in ihren Rechten Beeinträchtigten dagegen vorgingen. Dank des gut funktionierenden Verwaltungsrechtsschutzes konnten sämtliche Maßnahmen der Behörden wenigstens verzögert, wenn nicht komplett verhindert werden. Vor dem Hintergrund war es nur konsequent, dass mit dem Kreisdirektor von Hohnhorst ein leitender Verwaltungsbeamter den auf Vorlage eines Gesetzes gerichteten Antrag in der Landesversammlung stellte.

Damit konnte für mehr Rechtssicherheit auf allen Seiten gesorgt werden: Die Zuständigkeiten sowie Rechte und Pflichten von Behörden und Gerichten waren eindeutig geregelt. Durch die privatrechtsgestaltende Wirkung der Autorisation von Entwässerungsanlagen auf Grund des Entwässerungsgesetzes auf der einen und der Anordnung von Veränderungen öffentlicher Flüsse nach dem Flussgesetz auf der anderen Seite konnte die Ausführung der jeweiligen Anlagen bzw. Veränderungen nicht mehr durch Einwendungen Dritter ver- oder zumindest behindert und damit sichergestellt werden. Auf der anderen Seite schließlich waren die Entschädigungsansprüche der von Zwangsabtretungen, sonstigen Beschränkungen ihrer Rechte oder Duldungspflichten Betroffenen gesichert.

Insbesondere die Genese der Verfahrensnormen des Entwässerungsgesetzes zeigt sehr anschaulich die Gestaltungsmöglichkeiten der Landesversammlung bzw. der aus ihrer Mitte gewählten Kommission zur Vorprüfung der Regierungsvorlage auf, die den Entwurf der Regierung letztlich komplett verworfen und an seiner Stelle einen eigenen Vorschlag in die Landesversammlung eingebracht hatte. Insofern gibt der ausführliche erste Bericht der Kommission vom 7. Mai 1851 auch über den Verlauf des Verfahrens Auskunft, da die Kommission ihren Bericht nicht mehr oder weniger isoliert erarbeitete, sondern sich während ihrer Prüfung und Bearbeitung der einzelnen Vorschriften zumindest hinsichtlich einiger Normen mit dem Staatsministerium beraten hatte.

Anhand der ausführlichen Beratung des § 19 KommE1851 etwa wird deutlich, wie die Landesversammlung während des Gesetzgebungsverfahrens Einfluss auf den Inhalt von Gesetzen nehmen konnte: Die aus ihrer Mitte gewählte Kommission hatte nicht nur das Recht, die Regierungsvorlage zu prüfen oder zu bearbeiten. Sie konnte darüber hinaus den Abgeordneten einen eigenen Alternativvorschlag zur Beratung vorlegen, wenngleich dafür das Einverständnis des Staatsministeriums erforderlich war. Letzteres war nur konsequent, denn die NLO räumte der Stände- bzw. Landesversammlung gerade kein eigenes Initiativrecht ein, so dass die im Ergebnis doch über eine Art „faktisches Initiativrecht“ verfügt hätte, wäre es ihr möglich gewesen, Regierungsvorlagen ohne Zustimmung des Ministeriums durch eigene Vorschläge zu ersetzen. Sie hätte nur von ihrem Recht zur Motion aus § 105 NLO Gebrauch machen und den daraufhin von der Regierung ausgearbeiteten Gesetzesentwurf durch eine eigene Vorlage ersetzen müssen. Das aber war gerade nicht gewollt und – wie der Verlauf des Verfahrens zeigt – auch gar nicht nötig.

Die Verteilung der von der Regierung ursprünglich in einem Entwurf vorgelegten Bestimmungen auf die beiden letztlich in Kraft getretenen Gesetze leitete mit der Trennung und darauf folgenden Auseinanderentwicklung von privatem und öffentlichen Wasserrecht im Herzogtum eine für das 19. Jahrhundert typische Rechtsentwicklung ein, die rund ein Vierteljahrhundert später fortgesetzt und mit Erlass des Wassergesetzes für das Herzogtum Braunschweig vollendet werden sollte.

Mit dem Entwässerungsgesetz konnten die Interessen der an Entwässerungsvorhaben Interessierten sowie der davon in der einen oder anderen Form betroffenen Privaten ausgeglichen werden.

Der Erlass des Flussgesetzes daneben stellte einen ersten Schritt hin zu einem eigenständigen öffentlich-rechtlichen Wassergesetz und damit zu einem besonderen Verwaltungsrecht im modernen Sinne dar. Das war in erster Linie ein Verdienst der Kommission, deren Anträge dazu wohl nicht zuletzt auf Grund ihrer gründlichen Vorarbeiten regelmäßig ohne größere Diskussionen Mehrheiten in der Landesversammlung fanden. Dabei darf nicht übersehen werden, dass der für das Staatsministerium an den Beratungen beteiligende Geheimrat Langerfeldt ebenso regelmäßig mit den Anträgen der Kommission einverstanden war. Auch war er es, der in seinem Schreiben für das Staatsministerium die endgültige Fassung der §§ 1 und 2 des Flussgesetzes vorschlug.

Die Behörden, vor allem die Kreisdirektionen, hatten nun die Möglichkeit, im Interesse der öffentlichen Sicherheit oder der „Förderung der Wohlfahrt einer oder mehrerer Gemeinden“ etwa Veränderungen von öffentlichen Gewässern anzuordnen. Privatrechte Dritter konnten entsprechende Vorhaben nicht verhindern. Allerdings waren die Betroffenen am Verfahren zu beteiligen und ggf. für erlittene Rechtsverluste zu entschädigen.

Mit beiden Gesetzen war das Wasserrecht des Herzogtums für wichtige Anwendungsbereiche zeitgemäß geregelt worden. Allerdings nicht umfassend. Die Entscheidung, im Interesse der Verfahrensökonomie die von der Regierung vorgelegten Bestimmungen über die Bewässerung von Grundstücken im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens nicht weiter zu beraten und zu verabschieden, wurde durchaus kritisch gesehen.[833] Sie sollte sich Ende der 1860er Jahre auswirken, als erneut der Erlass wasserrechtlicher Vorschriften beantragt wurde – nun allerdings zur Regelung der Bewässerung von Grundstücken.


 

[833] Etwa von VORWERK, in: Bluntschli/Brater, Staats-Wörterbuch, S. 253, der zum Entwässerungsgesetz bemerkte, dass es „freilich zugleich die Bewässerung hätte berücksichtigen sollen“.