Zusammenfassung

Nach bürgerlicher Erhebung und Übernahme der Regierung durch Herzog Wilhelm Anfang der 1830er Jahre trat im Oktober 1832 mit der Neuen Landschaftsordnung eine die politische Ordnung von Stadt und Land Braunschweig grundlegend reformierende Verfassung in Kraft. Unter anderem trug sie bereits Züge einer modernen Repräsentativverfassung, regelte den Erlass von Rechtsnormen zum Teil neu und enthielt einen Katalog von Grundrechten. Die §§ 32 und 33 NLO schützten das Eigentum und sonstige Privatrechte vor Eingriffen des Staates, indem sie dafür eine gesetzliche Grundlage, zumindest aber eine dringende Notwendigkeit voraussetzten. Auf ihrer Grundlage konnten die Gerichte das Eigentumsrecht und andere Rechte der Landeseinwohner effektiv vor ungerechtfertigten Eingriffen der Verwaltung schützen.

Die zeitgleich durchgeführte Neustrukturierung der Verwaltung machte das Herzogtum während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem der am besten verwalteten deutschen Staaten, allerdings erschien die dreistufige Verwaltung bereits Zeitgenossen etwas überdimensioniert.

Zusammenfassend lässt sich die Entwicklung Braunschweigs nach 1830 mit den Stichworten Konstitutionalisierung, Liberalisierung und Demokratisierung kennzeichnen. Der kurz zuvor unter Karl II. noch einmal in Ansätzen aufgeflammte Absolutismus war damit im kleinen Herzogtum endgültig Geschichte. Vielmehr war es zum Verfassungs- bzw. Rechtsstaat geworden.

Ab 1834 stärkten Bauernbefreiung und vor allem Flurbereinigung die Landwirtschaft als seinerzeit wichtigsten Wirtschaftszweig. Die erfolgreichen Agrarreformen führten zu beträchtlichen Ertragssteigerungen und schufen damit zugleich die Voraussetzungen für die spätere Industrialisierung des Landes. Allerdings brachte die Intensivierung der Landwirtschaft auch eine stetig zunehmende Inanspruchnahme der kleinen Flüsse und Bäche in Braunschweig mit sich.

In der Folgezeit intensivierte sich die Gewässernutzung, so dass sich bereits gegen Ende der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, also noch vor dem Auftreten erster Industrialisierungsschübe, auch Konflikte um die Gewässernutzung verschärften. 1849 schließlich konnten die angerufenen Verwaltungsbehörden einen konkreten Konflikt zwischen Mühlenbetreibern und Landwirten nicht mehr auf der Grundlage des geltenden Wasserrechts regeln.

Die Ursachen dafür lagen nicht zuletzt im seinerzeit geltenden Wasserrecht selbst, das sich bereits vor der im 19. Jahrhundert einsetzenden und in seinem Verlauf zunehmend rasanter verlaufenden Veränderung der sozialen Wirklichkeit nur noch eingeschränkt zur Regelung von Konflikten oder Beantwortung sonstiger rund um die Gewässer und deren Nutzung aufgetretener Rechtsfragen eignete.

Letztlich war ein Zustand erreicht, in dem das geltende Recht seine Funktionen nicht mehr hinreichend erfüllen konnte: Rechtsschutz und Rechtssicherheit waren nicht mehr gewährleistet. Ursächlich dafür waren neben den ungeklärten materiell-rechtlichen Fragen auch Kompetenzkonflikte zwischen Verwaltung und Justiz.

Um die Jahrhundertmitte traten im Herzogtum Braunschweig nicht mehr zu überwindende Schwierigkeiten bei der Anwendung des seit langer Zeit nicht mehr modifizierten, vor allem aber nicht mehr aktualisierten Wasserrechts auf, für die seine mangelnde Vereinbarkeit mit den Anforderungen des Verfassungs- bzw. Rechtsstaates an das in ihm geltende Recht ursächlich war. Recht im Rechtsstaat ist – jedenfalls im Verhältnis Staat-Bürger – verlässliches, messbares und berechenbares Recht. Dem entsprach das bis 1851 im Herzogtum geltende Wasserrecht nicht mehr.

Auch hatte sich das Wasserrecht nicht zuletzt aufgrund des raschen sozialen und wirtschaftlichen Wandels von der Agrar- zur Industriegesellschaft zu sehr von der sozialen Wirklichkeit entfernt und erfasste sie damit nicht mehr hinreichend. Viele der naturwissenschaftlichen und technischen Neuerungen des ausgehenden 18. und des beginnenden 19. Jahrhunderts konnten die noch auf das römische Recht zurückgehenden Normen des gemeinen Rechts ohnehin noch gar nicht berücksichtigen. Schließlich fehlte es im gemeinen Recht an Regelungen zur Veränderung bzw. zum Ausbau von Gewässern, was 1850 als großer Missstand empfunden wurde.

Die zunehmend auftretenden Nutzungskonflikte konnten – wenn überhaupt – nur im Wege von zum Teil langwierigen und kostspieligen Gerichtsverfahren geregelt werden. Die zuständigen Behörden jedenfalls waren mangels entsprechender gesetzlicher Ermächtigungsgrundlagen und nicht zuletzt aufgrund der von den Gerichten strikt überprüften Einhaltung der Gesetzesbindung regelmäßig nicht (mehr) in der Lage, entsprechende Entscheidungen zu treffen, so dass das Wasserrecht im Herzogtum Braunschweig 1849 endgültig an seinen Leistungsgrenzen angelangt war.

Es war somit nur noch eine Frage der Zeit, bis die Forderung nach dem Tätigwerden des Gesetzgebers laut werden würde, so dass die 1849 schließlich von verschiedenen Gemeinden in die Landesversammlung eingebrachte Beschwerde- und Bittschrift nach alledem nur konsequent war. Obgleich deren Verfasser lediglich Abhilfe ihrer konkreten Probleme begehrten, stellte die Regierung auf den entsprechenden Antrag aus der Mitte der Landesversammlung hin das Wasserrecht des Herzogtums insgesamt umfassend auf den Prüfstand, worauf noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein erstes Gesetzgebungsverfahren einsetzte.

Neben der Beseitigung bestehender Widersprüche und dem Schließen von Regelungslücken sollte durch das Schaffen gesetzlicher Ermächtigungsgrundlagen vor allem die Verwaltung des Herzogtums berechtigt und verpflichtet werden, im öffentlichen Interesse die Vertretung der öffentlichen Flüsse zu übernehmen. Popularklagen waren in Braunschweig nicht zulässig, so dass nur die Verwaltung im Interesse der Allgemeinheit tätig werden konnte, solange durch (schädliche) Gewässernutzungen keine Privatrechte Dritter beeinträchtigt wurden. Selbst wenn das der Fall war, hing es aber immer noch vom Zufall ab, ob Private sich gegen Beeinträchtigungen ihrer Rechte etwa mittels der actio negatoria zur Wehr setzten oder nicht. Künftig sollte das nicht mehr vom Zufall abhängen, so dass neben dem Erlass der materiellen Bestimmungen nicht zuletzt den Vorschriften über die Zuständigkeit einzelner Behörden und über das Verwaltungsverfahren große Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Soweit möglich, wurde den Gerichten die Kompetenz zur Entscheidung derartiger Konflikte entzogen und den Verwaltungsbehörden übertragen. Die Gerichte hatten lediglich noch über einzelne Fragen zu entscheiden, namentlich über die anlässlich von Zwangsenteignungen zu leistenden Entschädigungen. Dadurch konnte das Verwaltungsverfahren deutlich vereinfacht und im Ergebnis auch beschleunigt werden.

Neben der Vertretung des öffentlichen Interesses durch die Verwaltung sollte die Wassergesetzgebung im Interesse einer möglichst effektiven Entwässerung des Bodens auch Eingriffe in Privatrechte, wie etwa die Zwangsenteigung oder erzwungene Teilnahme an Entwässerungsvorhaben, gegen entsprechende Entschädigung der Betroffenen ermöglichen.

Um spätere Komplikationen bei der Anwendung zu vermeiden, regte die Kommission der Landesversammlung die Verteilung der Vorschriften der Regierungsvorlage auf ein Flussgesetz und ein Entwässerungsgesetz an. Das Flussgesetz enthielt Bestimmungen über die im öffentlichen Interesse, etwa zum Schutz vor Überschwemmungen oder Gefahren durch Hochwasser, durchzuführenden Maßnahmen und von Verwaltungsbehörden anzuordnenden Veränderungen öffentlicher Gewässer sowie zu ihren sonstigen Rechten und Pflichten, so dass es das öffentliche Wasserrecht des Regierungsentwurfs enthielt. Das Entwässerungsgesetz daneben diente dem Ausgleich der Interessen von Privaten, die Entwässerungsvorhaben durchführen wollten, freiwillig oder gezwungen daran beteiligt oder sonst davon betroffen waren und galt dementsprechend als privates Wasserrecht.

Der das erste Verfahren einleitende Antrag des Kreisdirektors von Hohnhorst ist ein Indiz für das Induzieren von besonderem Verwaltungsrecht durch die Verwaltung selbst, die zur Regelung von Konflikten im Wege der Eingriffsverwaltung spätestens im Verfassungs- bzw. Rechtsstaat des 19. Jahrhunderts entsprechender Ermächtigungsgrundlagen bedurfte. Somit war es nur konsequent, dass sich ein leitender Verwaltungsbeamter entsprechend engagierte.

Die Entwicklung des Wasserrechts veranschaulicht auch den Einfluss der Landesversammlung und vor allem der aus ihrer Mitte gewählten Kommissionen auf die Ausgestaltung der Gesetze: Das Normsetzungsverfahren hatte seinen Ursprung in der Landesversammlung, deren Kommission den Regierungsentwurf nicht nur geprüft, sondern umfassend umgestaltet, insbesondere erfolgreich die Verteilung seiner Vorschriften auf Fluss- und Entwässerungsgesetz angeregt und damit die Trennung und Auseinanderentwicklung von öffentlichem und privatem Wasserrecht eingeleitet hatte.

Nachdem das Staatsministerium auch 1870 durch einen Antrag aus der Mitte der Landesversammlung auf einen bestehenden Regelungsbedarf aufmerksam gemacht worden war, beschränkte die Regierung sich erneut nicht auf den Erlass von Vorschriften, die lediglich dem konkreten Mangel abhelfen sollten, sondern nahm das Verfahren zum Anlass, das Wasserrecht insgesamt auf den Prüfstand zu stellen und soweit erforderlich umfassend neu zu regeln.

Mehr noch als das Verfahren von 1851 war die zweite Phase der Wassergesetzgebung im Herzogtum vom Nutzdenken der Zeit geprägt: Um eine optimale Nutzung auch der Privatgewässer ermöglichen zu können, sah der Regierungsentwurf sogar die Aufgabe der in den §§ 1 und 2 des Flussgesetzes von 1851 geregelten Abgrenzung von öffentlichen Flüssen und Privatgewässern anhand ihres Verlaufs vor, was von den Abgeordneten der Landesversammlung aber abgewendet werden konnte. Auch gelang es einzelnen Vertretern der Industrie nicht, die von ihnen beantragte Erweiterung des Rechts zur Zwangsenteignung zu Gunsten industrieller Anlagen durchzusetzen, so dass die Interessen von Landwirtschaft und Industrie am Wasser im Verfahren gleichermaßen berücksichtigt wurden.

Vor dem Hintergrund volkswirtschaftlicher Interessen wurde ein neues Wasserrecht geschaffen, das in sich geschlossen, d. h. möglichst in einem Regelwerk normiert und nicht mehr quer durch die Rechtsordnung verstreut war. Auch wurde das Wassergesetz so einfach wie möglich und zugleich weitgehend generell-abstrakt ausgestaltet. Abstrakter als die Vorgängergesetze von 1851, so dass auch eine künftige, noch gar nicht absehbare „Benutzung der öffentlichen Gewässer“ erfasst werden konnte. Details dagegen, die sich ohnehin aus der „Natur der Sache“ ergaben, wurden nicht berücksichtigt und spezielle Anwendungsfälle ausgeklammert.

Das Wassergesetz enthielt erstmals ausdrückliche Bestimmungen zum Gemeingebrauch an den öffentlichen Gewässern, der als unschädlich freigegeben wurde, aber der ortspolizeilichen Aufsicht unterlag und jederzeit im Interesse der „öffentlichen Wohlfahrt“ eingeschränkt werden konnte. Bestimmte darüber hinausgehende Nutzungen bedurften dagegen der ortspolizeilichen Erlaubnis, die jederzeit eingeschränkt oder widerrufen werden konnte, ohne dass daraus ein Anspruch auf Entschädigung erwuchs. Alle übrigen Benutzungsarten erforderten schließlich die hoheitliche Verleihung von Nutzungsrechten durch die Staatsbehörde, die den auf Privatrechtstiteln beruhenden Wassernutzungsrechten gleichgestellt waren und nur wegen überwiegender Nachteile oder Gefahren für das Gemeinwohl gegen Ersatz der für eine Anlage etwa aufgewandten Kosten durch die Staatsbehörden beschränkt oder aufgehoben werden konnten. Durch den Erlass der Vorschriften über die hoheitliche Verleihung von Nutzungsrechten erfüllte die Regierung zugleich den Gesetzgebungsauftrag des Flussgesetzes von 1851.

Anders als seine Vorgänger ermöglichte das Wassergesetz von 1876 im Interesse einer möglichst wirtschaftlichen Gewässernutzung nicht nur die Einschränkung oder Aufhebung staatlich verliehener, sondern auch älterer, „wohlerworbener“ Nutzungsrechte durch die Staatsbehörden gegen entsprechende Entschädigung.

Im Ergebnis trug die ausführliche Regelung der Gewässernutzung zu mehr Rechtssicherheit bei: Je intensiver die Auswirkungen der jeweiligen Nutzungsart auf die Gewässer, desto höher waren die Anforderungen an die erforderliche Gestattung und umso schwerer konnte die jeweilige Nutzung wieder beschränkt oder unterbunden werden.

Angesichts der auf Seiten der Landesversammlung an beiden Gesetzgebungsverfahren beteiligten Akteure war es nur konsequent, dass über sie oder aus ihrer Mitte heraus immer wieder Reformen einzelner Bereiche der Verwaltung in die Wege geleitet wurden: Nicht selten wurden leitende Beamte verschiedener Verwaltungszweige zugleich als Abgeordnete in die Landesversammlung gewählt, die sich letztlich rund zur Hälfte aus Beamten zusammensetzte. Während des Verfahrens von 1851 gehörten zwei in leitender Position tätige Verwaltungsjuristen der zur Prüfung der Regierungsvorlage gewählten Kommission an. Ähnliches galt für die Kommission von 1876, so dass während beider Verfahren zumindest einzelne Verwaltungsbeamte unmittelbaren Einfluss auf die Gestaltung der Wassergesetze nehmen konnten.

Auch aus der Doppelfunktion des Staatsministeriums als Teil der Regierung und oberster Verwaltungsbehörde folgte zwangsläufig die Beteiligung von leitenden Beamten aus der Verwaltung an der Gesetzgebung.

Nach der 1851 eingeleiteten Trennung von privatem und öffentlichem Wasserrecht und ihrer folgenden Auseinanderentwicklung trat mit Verabschiedung des neuen Gesetzes im Juni 1876 ein nun überwiegend öffentlich-rechtliches Wassergesetz in Kraft. Es sollte das Ende des Herzogtums 1918 ebenso wie das Aufgehen des Freistaates Braunschweig im 1946 neu gegründeten Land Niedersachsen überdauern und erst im Juli 1960 durch das neue Niedersächsische Wassergesetz aufgehoben werden.