Abschnitt 4.3

4.3. Zwischenbefunde

Nach alledem hatte sich bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts in Braunschweig über Jahrhunderte hinweg ein aus den unterschiedlichsten Quellen gespeistes Konglomerat subsidiär geltenden Wasserrechts entwickelt, wodurch im Zweifel mehr Rechtsfragen aufgeworfen als beantwortet wurden. Über die Einteilung der Gewässer in öffentliche und Privatgewässer wurde ebenso kontrovers diskutiert wie über die Rechtsfolgen der Einteilung, etwa hinsichtlich der Frage nach dem Bestehen von Eigentumsrechten an den öffentlichen Flüssen und ihren Bestandteilen. Ursächlich für die gelegentlich bemängelte Unzulänglichkeit des gemeinen Rechts war nicht zuletzt, dass bereits lange vor der Rezeption und damit lange, bevor das gemeine Recht in Braunschweig zur Anwendung gelangte, Privatrechte an einzelnen Gewässern entstanden waren, wodurch das gemeine Recht etwa die Interessen den Landwirtschaft an der Nutzung einzelner Gewässer nicht hinreichend schützen konnte.[501]

Entsprechend dem Grundsatz „Landrecht bricht gemeine Rechte“[502] wurde das subsidiär geltende Wasserrecht durch das partikulare Recht des Herzogtums Braunschweig modifiziert oder verdrängt. Allerdings enthielt das Partikularrecht nur sehr wenige, häufig vor allem spezielle Regelungen etwa zur Oker und ihren Kanälen in den Städten Wolfenbüttel und Braunschweig.[503] Auch das Mühlenrecht und das Polizei-Reglement für die Oberschunter zählten dazu, so dass die wenigen landesrechtlichen Vorschriften bis dahin eher im Wege einer Ad-hoc-Gesetzgebung erlassen worden waren und dementsprechend nur eng umrissene konkrete Anwendungsfälle regelten. Eine systematische, umfassende Wassergesetzgebung dagegen war noch nicht ersichtlich, tatsächlich bis dahin aber auch noch nicht erforderlich. Für alle übrigen nicht von den speziellen Regelungen erfassten allgemeinen wasserrechtlichen Fragen blieb somit in Braunschweig nur der Rückgriff auf die Vorschriften des gemeinen Rechts – mit dem die oben dargelegten Unsicherheiten einhergingen. Damit oblag es im Zweifel den Gerichten, streitige Rechtsfragen rund um die Gewässer und ihre Nutzung respektive Unterhaltung zu klären und damit zugleich im Wege der Rechtsfortbildung bestehende bzw. auftretende Regelungslücken zu schließen.


[501] So sah es zumindest 1870 die Kommission für die inneren Angelegenheiten, s. 13. ordentl. LT, Anl. 94 zu Protokoll Nr. 24, S. 2 f.
[502] DANZ, Handbuch, S. 153; für Braunschweig HAMPE, Privatrecht, S. 18.
[503] Siehe dazu oben, Erster Teil, 4.1.1., S. 90 ff.