Abschnitt 4.2

4.2. Subsidiär geltendes gemeines und altes deutsches Wasserrecht

Eine Schwachstelle des vor 1851 in Braunschweig geltenden Wasserrechts ist schnell ausgemacht, denn im gemeinen Recht waren fast alle wasserrechtlichen Fragen umstritten.[418] Etwa im Hinblick auf die Einteilung der Gewässer in öffentliche und private, die Eigentumsverhältnisse an den Bestandteilen der Gewässer (Wasserwelle, Ufer und Bett), das Verhältnis von Gemeingebrauch zu Sonder(nut­zungs)rechten am Wasser wie auch die Kollision der Ausübung des Gemeingebrauchs durch verschiedene gleichermaßen dazu Berechtigte sowie das von Ober- zu Untermüller und deren Recht, das Wasser aufzustauen, um dessen Triebkraft für ihre Mühlen nutzen zu können.

In Braunschweig kam hinzu, dass subsidiär nicht allein das gemeine Recht galt: Vor der Rezeption hatte sich in Braunschweig „der Sachsenspiegel fast vollständig die Herrschaft“ verschafft.[419]

1556 aber ordnete Heinrich der Jüngere an,[420] dass die Gerichte bei der Entscheidungsfindung nur noch das als „Kaiserrecht“ betrachtete Römische Recht und nicht mehr das sächsische Recht anzuwenden hatten.[421] Obwohl sich 1597 auch die Landstände auf dem Landtag in Salzdahlum für die Einführung des Römischen Rechts ausgesprochen hatten, konnte das Sachsenrecht noch über eine längere Zeit hinaus seine Geltung behaupten, so dass spätere Herzöge die Verordnung von Heinrich wiederholten. Aber auch sie konnten das Recht des Sachsenspiegels nicht vollständig beseitigen,[422] sondern es beeinflusste fortwährend die weitere Rechtsentwicklung in Braunschweig.[423] Neben dem rezipierten römischen Recht trat im sechzehnten Jahrhundert zudem das als Anhang des römischen Rechts betrachtete Longobardische Lehnrecht an die Stelle des „cassirten und abgethanen“ sächsischen Lehnrechts.[424] Demnach bildete das Römische Recht zwar die Basis des Privatrechts, neben ihm bestanden aber Rechtsinstitute (fort), die dem rezipierten Recht nicht unterworfen werden konnten und dementsprechend eine eigene Entwicklung durchliefen.[425] Für das Wasserrecht wirkte sich der Rechtszustand besonders auf die Frage nach der Einteilung der Gewässer in öffentliche und Privatgewässer aus.


[418] BAUMERT, Unzulänglichkeit, S. 14.
[419] STRÜMPELL, Rechtszustand, in: Jahrbücher der deutschen Rechtwissenschaft und Gesetzgebung, II. Band (1857), S. 64.
[420] Tatsächlich war es der Kanzler Joachim Münzinger, der die Aufhebung des Sachsenrechts zwar nicht ausdrücklich in der von ihm der verfassten Hofgerichtsordnung verzeichnete, aber in ihr bestimmte, dass nach „gemeinen Rechten“ zu richten sei; s. HAMPE, Privatrecht, S. 2.
[421] STRÜMPELL, Rechtszustand, in: Jahrbücher der deutschen Rechtwissenschaft und Gesetzgebung, II. Band (1857), S. 64.
[422] STRÜMPELL, Rechtszustand, in: Jahrbücher der deutschen Rechtwissenschaft und Gesetzgebung, II. Band (1857), S. 65.
[423] HAMPE, Privatrecht, S. 2.
[424] HAMPE, Privatrecht, S. 3; Zitat bei STRÜMPELL, Rechtszustand, in: Jahrbücher der deutschen Rechtwissenschaft und Gesetzgebung, II. Band (1857), S. 65.
[425] STRÜMPELL, Rechtszustand, in: Jahrbücher der deutschen Rechtwissenschaft und Gesetzgebung, II. Band (1857), S. 65.