3.4.3.2. Versorgung der Einwohner der Stadt mit Trinkwasser
Für die Stadtverwaltung schuf die Ausweitung der Industrie neue, bisher kaum bekannte Probleme.[295] Der lebhafte Zuzug von auswärts führte zu einem Mangel an Wohnungen für die neuen Arbeitskräfte und zur Zusammenballung der Bevölkerung in bestimmten Wohngebieten.[296] Die mittelalterliche Trinkwasserversorgung durch die Jödebrunnen und deren Zapfstellen an den öffentlichen Brunnen der Märkte sowie durch die zahlreichen Pumpen der Piepenbrüder jedenfalls reichte nicht mehr aus. Nachdem überdies die aufkommende Industrie durch Einleitung ihrer Abwässer das Okerwasser stark verschmutzte, schien auch dessen Direktentnahme mit Hilfe der alten Wasserkünste von Barward Tafelmaker bei dem Anwachsen der Bevölkerung und der weiteren Zunahme der Fabriken immer problematischer.
Mit Zustimmung der Stadtverordnetenversammlung erließ daher der Magistrat der Stadt[297] am 4. Oktober 1862 ein Statut die Aufbringung der Kosten der Einrichtung und Unterhaltung einer allgemeinen Wasserleitung in der Stadt Braunschweig betreffend.[298] In sieben Paragraphen regelte das durch Reskript des Herzoglichen Staatsministeriums vom 30. Sept. 1862[299] genehmigte Statut vor allem die Finanzierung der ersten Errichtung der Wasserleitung sowie die Erhebung von Abgaben zur weiteren Finanzierung von Betrieb und Unterhaltung des Leitungssystems. Unter Verweis auf § 6 des Vertrages vom 1./10. August 1858 – „Caspari-Vertrag“ – hatte die Staatskasse einen Teil der Kosten für die erste Errichtung zu tragen.[300] Im Übrigen muss die Stadt ein „Anlehen“ aufnehmen (§ 1). Über die Einnahmen, aber auch über die Betriebs- und Unterhaltungskosten musste die Stadtkasse gesondert Rechung führen. Die Kosten hatte sie jährlich vorzustrecken und erst am jeweiligen Jahresende wurde ermittelt, welchen Anteil die Stadt- und welchen die Staatskasse zu tragen hatte (§ 2).
Von den Hauseigentümern innerhalb der „eigentlichen Stadt“ wurde „ein Drittheil der jedesmal zu erhebenden Abgabe an Service- und Proviantgeld…“ als Abgabe erhoben. Die Eigentümer der Grundstücke an den Promenaden sowie der Grundstücke vor den Toren der Stadt wurden zu der Abgabe erst herangezogen, nachdem sich die Röhrenleitungen der allgemeinen Wasserleitung bis zu ihren Grundstücken erstreckt hatten und sie damit von der Wasserleitung auch Gebrauch machen konnten (§ 3).
Die zentrale Trinkwasserversorgung entwickelte sich darauf ab 1865 zunächst in der Stadt Braunschweig.[301] Da das Wasser aus der Oker bereits zu der Zeit nur noch sehr eingeschränkt als Trinkwasser Verwendung finden konnte, wurde Abhilfe zunächst durch das 1864/65 in Betrieb genommene, 1883-1885 bedeutend erweiterte und schließlich 1902 stillgelegte Wasserwerk im Eisenbahnpark geschaffen, das in ca. 1,5 ha großen Teichen geklärtes und dann gefiltertes Okerwasser lieferte.[302] War die Beschaffenheit des Leitungswassers in den ersten Jahren nach der Erweiterung des Wasserwerks das ganze Jahr hindurch noch gut, gelang es später während der Zeit der Zuckerfabrikskampagne nicht mehr, durch Klärung und Sandfiltration das Okerwasser soweit zu reinigen, ein „brauchbares und schmackhaftes Trinkwasser“ aus der Oker zu gewinnen, nachdem die Oker mehr und mehr durch die Abwässer der oberhalb der Stadt Braunschweig entstandenen „industriellen Etablissements“ (Zuckerfabriken) verunreinigt worden war.[303] Damit konnte die Versorgung der Stadt mit Trinkwasser insbesondere während der Rübenkampagnen nicht immer sichergestellt werden.
Die Schwierigkeiten waren bereits Anfang der 1870er Jahre durchaus bekannt und in das Bewusstsein einzelner Akteure vorgedrungen, wie etwa in das des Direktors der städtischen Gas- und Wasserwerke in Braunschweig und Abgeordneten der Landesversammlung Reuter, der in der Sitzung der Landesversammlung am 20. Dezember 1872 folgende selbständige Anträge stellte:
Hohe Versammlung wolle – in Erwägung: daß gesundes Trinkwasser ein unentbehrliches Erfordernis zum Wohlbefinden der Menschen ist, daß große Mengen solchen Wassers der Landwirthschaft und Industrie zur Verfügung, für diese von außerordentlichem Nutzen sind, daß ausgiebige Wasserleitungen ein vorzügliches Schutzmittel gegen Schädigung des National-Wohlstands durch Feuersbrünste gewähren, –
in fernerer Erwägung:
daß, bedingt durch die geographische Lage der Städte und Ortschaften des Landes, entsprechende Wasserleitungen in einzelnen Communen, bei rationeller Anleitung, ohne erhebliche Schwierigkeiten und Kosten hergestellt werden können, während in anderen die entgegenstehenden Schwierigkeiten und Kosten so groß sind, daß sie ohne Mithülfe des Staates nicht bewältigt werden können, – solche Hülfe aber bei der finanziellen Lage des Landes ohne alle Inconvenienzen geleistet werden kann, –
beschließen, an Hohes Herzogl. Staats-Ministerium das Ersuchen zu richten:
1) dasselbe wolle allen denjenigen Städten und Ortschaften, welche eine Wasserleitung herzustellen beabsichtigen, auf ihren Wunsch unentgeltlich einen dazu qualificirten Baubeamten mit den erforderlichen Ermittelungen, Rathschlägen und Kostenanschlägen an Hand gehen lassen,
2) dasselbe wolle ferner eine Commission Sachverständiger ernennen, um baldthunlichst feststellen zu lassen, ob und mit welchem Kostenaufwande dem dritten Theile der Landeseinwohner, namentlich den Städten Braunschweig und Wolfenbüttel, Quellwasser vom Harze zugeführt werden kann, und
3) über das Resultat dieser Ermittelung dem gegenwärtigen Landtage Mittheilung zu mache
Hohe Versammlung wolle ferner beschließen:
4) dem Herzogl. Staats-Ministerium die zu dieser Ermittelung erforderlichen Geldmittel zur Verfügung zu stellen, und
5) demselben die Bereitwilligkeit auszusprechen, daß zur Erreichung des Zweckes, thunlichst alle Städte und Ortschaften des Landes mit gutem Wasser reichlich zu versehen, diesseits eine erhebliche Aufwendung aus Staatsmitteln gutheißen werden würde.“[304]
In der folgenden Sitzung am 21. Dezember begründete Reuter seine Anträge, die darauf von mindestens neun Abgeordneten (vgl. § 44 NGO1871) hinreichend unterstützt und gem. § 23 Abs. 1 NGO1871 der Kommission für innere Angelegenheiten zur Vorberatung überwiesen wurden.[305]
Für sie trug in der Sitzung am 14. Februar 1873 der Obergerichtsadvokat Müller aus Wolfenbüttel die Ergebnisse ihrer Beratungen des Antrags vor:[306] Den ersten Antrag hielt die Kommission für nicht ausführbar, da viele Städte und Ortschaften hätten in Versuchung geführt werden können, es in Erwägung zu ziehen, eine Wasserleitung anzulegen, was mangels wasserbaukundigen Personals und durch den dementsprechend erforderlichen Rückgriff auf auswärtige Kräfte zu hohe Kosten hätte nach sich ziehen können, so dass die Ablehnung des ersten Punktes empfohlen wurde.
Zum zweiten Punkt war die Kommission der Auffassung, dass vorab jedenfalls die Frage nach dem Bedarf von Wasserleitungen zu klären sein würde. Potentiellen Bedarf sah Müller in den Städten Braunschweig und Wolfenbüttel. Obwohl ihm als in der Stadt tätigen Obergerichtsadvokatem auch bekannt war, dass „in Wolfenbüttel der lebhafte Wunsch bestehe, besseres Trinkwasser zu besitzen“,[307] beantwortete das für ihn noch nicht die Frage, ob es gerechtfertigt sein würde, solche Bedürfnisse auf Kosten des Staates zu befriedigen:
Obgleich dergleichen Wasserleitungsanlagen gegenwärtig in einem gewissen Grade zu den Modesachen gehören, sei doch die Wichtigkeit derselben nicht zu verkennen und insofern sei die Commission damit einverstanden, daß die Möglichkeit der Ausführung des Antrags und die mit derselben, soweit ein nachweisliches Bedürfnis vorliege, verbundenen Kosten, zum Gegenstande einer sorgsamen Ermittelung genommen, und in dieser Beziehung der Antrag dem Herzogl. Staats-Ministerium zu sachgemäßer Erwägung empfohlen werde.“[308]
Über den dritten Antrag wiederum sollte nach Ansicht der Kommission besser hinweggegangen werden,
da wohl Niemand wünschen werde, daß dieser Landtag so lange daure, bis die anzustellende Ermittelung und Veranschlagung der Kosten möglicher Weise beendigt sein könnten.“[309]
Mit dem vierten Punkt erklärte sich die Kommission einverstanden, allerdings mit der Einschränkung, dass die aufgeworfene Frage nur generell und vorläufig beantwortet werden sollte.
Den fünften Antrag von Reuter wiederum konnte sie nicht zur Annahme empfehlen, da sie es für erforderlich hielt, vor der Bewilligung einer erheblichen Aufwendung von Staatsmitteln zuerst die Möglichkeit und Zweckmäßigkeit des auszuführenden Projekts sowie den Betrag der zu einer befriedigenden Ausführung erforderlichen Kosten nachzuweisen.
Da die Absichten des Antragstellers und die Ansichten der Kommission dazu wesentlich voneinander abwichen und die Differenzen während der Beratung in der Landesversammlung nicht geklärt werden konnten, verwiesen die Abgeordneten den Beratungsgegenstand an die Kommission zurück, damit die sich mit Reuter verständigen und ihre Anträge ggf. noch vor einer endgültigen Beschlussfassung der Landesversammlung modifizieren konnte.[310] Die weiteren Kommissionsverhandlungen, zu denen Reuter hinzugezogen worden war, verliefen erfolgreich, so dass Müller als Referent der Kommission für innere Angelegenheiten in der Sitzung am 25. März 1873 folgende gemeinsame Anträge vortragen konnte:
Die Landes-Versammlung wolle beschließen, an Herzogl. Staats-Ministerium das Ersuchen zu richten:
1) dasselbe wolle allen denjenigen Städten und Ortschaften, in welchen sich das Bedürfniß einer Wasserleitung herausgestellt habe oder herausstellen werde, einen zu den erforderlichen Ermittelungen und Rathschlägen geeigneten Baubeamten unentgeltlich zur Verfügung stellen;
2) dasselbe wolle ferner Sachverständige ernennen, um baldthunlichst feststellen zu lassen, ob und event. mit welchem Kostenaufwande den Städten Braunschweig und Wolfenbüttel und etwaigen anderen Ortschaften des Landes, die nach ihrer Lage daran teilnehmen können, Quellwasser vom Harze zugeführt werden könne;
3) dem Herzogl. Staats-Ministerium die zu diesen Ermittelungen erforderlichen Geldmittel zur Verfügung zu stellen.“[311]
Der Unterschied zum ursprünglichen Antrag lag darin, dass nun nicht mehr der Wunsch einer Gemeinde, sondern das tatsächliche Bedürfnis ausschlaggebend dafür sein sollte, ob ein Sachverständiger zur Verfügung gestellt werden musste. Auch sollte es dem Ermessen des Ministeriums überlassen bleiben, mit den erforderlichen Untersuchungen Kommissionen von Sachverständigen oder einzelne Sachverständige zu beauftragen und die Maßnahme auf die Ortschaften zu beschränken, die ihrer Lage nach an eine Wasserleitung aus dem Harz angeschlossen werden konnten. Dem schloss sich eine – wenn auch geringe – Mehrheit der Abgeordneten an,[312] so dass die Landesversammlung mit Schreiben vom 5. April 1873 ein entsprechendes Ersuchen an das Staatsministerium richten konnte.[313]
Darauf übertrug das Staatsministerium der „Cont. Wasserwerks-Actien-Gesellschaft Neptun zu Berlin“ auf deren Angebot hin die entsprechenden Vorarbeiten und setzte zugleich eine aus drei Mitgliedern gebildete Kommission für die weiteren Beratungen mit der Gesellschaft und Begutachtung der von ihr vorgelegten Vorschläge ein.[314] Im Februar 1874 schließlich konnte das Staatsministerium der Landesversammlung neben dem von der „Neptun“ vorgeschlagenen Projekt nebst Kostenüberschlag für eine Quellwasserleitung vom Harzgebirge für die Städte Braunschweig, Wolfenbüttel und andere Ortschaften auch das Gutachten der Kommission übersenden.[315] Zu den Anträgen der Kommission stellte das Ministerium fest, sich nicht in der Lage zu sehen, die Kommission mit weiteren Aufträgen zu versehen. Vielmehr sollte es den beteiligten Städten und Landgemeinden überlassen bleiben, ob und wieweit sie das Projekt weiter verfolgen und welche entsprechenden Anträge sie an die Landesregierung richten wollten.[316]
Die „Commission für die Wassergesetze“[317] legte der Landesversammlung unter dem 17. März 1874 ihren Bericht über die Vorarbeiten der Gesellschaft („Neptun“) und über die Absichten des Staatsministeriums vor. Der enthält u. a. eine Beschreibung und Beurteilung der bisherigen Wasserversorgung der Stadt, die mangels ausreichender Filter nicht genügend reines Wasser liefern konnte und sich mangels eines „Hochreservoirs“ (Wasserturm) dem zum Teil erheblich schwankenden Wasserverbrauch mittels verstärktem Einsatz von Dampfmaschinen anpassen musste, was nur mit erhöhtem und außergewöhnlichen Aufwand an Brennmaterial erreicht werden konnte. Auch Reuter hatte das zuvor so wahrgenommen, was ihn letztlich dazu veranlasst hatte, die direkte Zuleitung reinen Gebirgswassers aus dem Harz vorzuschlagen.[318] Mit den Vorarbeiten der Gesellschaft war die Kommission zur zum Teil einverstanden: Der Nachweis der erfüllten Hauptbedingung für das Projekt – das Vorhandensein geeigneten Wassers in hinreichender Menge im Harz – war ihrer Auffassung nach nicht erbracht. Der übrige Teil des Projekts aber – die eigentliche Wasserleitung vom Harz nach Braunschweig – war gründlich ausgearbeitet worden, so dass sich die Kommission damit einverstanden erklärte.[319] Nicht einverstanden dagegen war sie mit der Absicht der Landesregierung, es ohne weitere Prüfung den beteiligten Städten und Landgemeinden zu überlassen, ob und wie weit sie sich an dem Projekt beteiligen und entsprechende Anträge an die Landesregierung stellen wollten. Angesichts der Wichtigkeit der Sache“ sollte vielmehr vorab noch geprüft werden
ob und in welcher Menge gutes Wasser an dem betreffenden Harzrande erzielt und ob dieses ohne oder durch Filtration erlangt werden kann“.[320]
Auch die Quellen des Elms sollten einer entsprechenden Prüfung unterzogen werden. Erfolg schienen derartige Untersuchungen aber nur zu versprechen, wenn die damit beauftragte Kommission um „eine mit der Geologie und Geognosie vertraute Kraft“ verstärkt werden würde, die
in einem, in dieser Beziehung in europäischem Rufe stehenden Mitgliede der Herzoglichen Cammer, Direction der Bergwerke“,[321]
gesehen wurde. Auf die entsprechende Empfehlung der Kommission beschloss darauf die Landesversammlung, die Landesregierung zu ersuchen, die mit der Prüfung des Projekts beauftragt gewesene Kommission um den Kammerrat von Strombeck zu verstärken und sie unter Bewilligung der erforderlichen Geldmittel bis zur Höhe von 5000 Talern mit der weiteren Bearbeitung des Projekts zu beauftragen.[322]
Wie weit sich die Landesregierung dem anschloss, ist – in allen Einzelheiten noch[323] – nicht bekannt, allerdings konnte kurz darauf die um den Berghauptmann von Strombeck erweiterte Kommission ihre Arbeit aufnehmen. Nachdem sie das vorliegende Projekt der Erfassung der Harzquellen nach eingehenden Prüfungen und Berechnungen verworfen hatte, schlug sie dafür eine technisch leichter zu realisierende Lösung vor: Aus dem Steinfeld oberhalb Vienenburgs sollte das dort in großen Mengen vorhandene Grundwasser entnommen werden.[324] Nach eingehender Prüfung trat die Kommission in ihrem am 4. Dezember 1879 erstatteten Bericht für die Durchführung des Projekts ein, Landesregierung wie Stadtverwaltung aber scheuten das finanzielle Risiko, zumal die Stadt Wolfenbüttel und die anderen am Leitungsstrang liegenden Gemeinden eine Beteiligung ablehnten.[325]
Auch Anfang Oktober 1882 konnten sich Oberbürgermeister Caspari und seine Mitarbeiter in der Stadtverwaltung nicht für den Bau einer Harzwasserleitung entscheiden,[326] so dass die Stadtverordneten in Übereinstimmung mit dem Stadtmagistrat der zuletzt von Oberingenieur Mitgau baureif ausgearbeiteten Idee einer Harzwasserleitung erneut eine Absage erteilten.[327] Stattdessen wurde das Flusswasserwerk im Eisenbahnpark zwischen 1883 und 1885 umgebaut und erweitert.[328] Immerhin ein Anschluss an die von der Eckertalsperre im Harz ausgehende Fernwasserleitung erfolgte schließlich 1943 und wurde 1947 erweitert.[329]
Vorerst aber waren sämtliche Bemühungen von Staat und Kommunen um Trinkwasser von besserer Qualität wohl nicht vollends von Erfolg gekrönt – zumindest muss Mitte der 1870er Jahre noch ein Markt für privatwirtschaftliche Anbieter vorhanden gewesen sein, worauf ein Inserat aus den Braunschweigischen Anzeigen hindeutet:
Abonnements-Einladung
auf
Hertlein’s
Wasserleitungs-Filter-Apparate
für Klärung des Trink-, Koch- und Waschwassers.
Jeder Abonnent erhält leihweise einen Filter-Apparat
und kostet die Benutzung desselben vierteljährlich
praenumerando 3 Mark. Die Anlage wird nur
einmal mit 2 Mark berechnet.
Sobald der Filter das Wasser nicht mehr krystall-
hell liefert, erhält der Abonnent sofort kostenfrei
einen neuen Apparat.
F. J. Griess,
Höhe No. 10.“[330]
Nachdem es in den frühen 1880er Jahren in Folge der Einführung des Diffusionsverfahrens[331] zu bemerkenswerten Produktionssteigerungen der Rübenzuckerindustrie gekommen war, brach in deren Folge 1884/’85 die Trinkwasserversorgung in Braunschweig während der Zuckerkampagne zusammen.[332]
Annahmen zum Wasserverbrauch in der Stadt konnten erstmals 1886/’87 nach der Einführung von Wasserzählern getroffen werden. Der durchschnittliche Jahresverbrauch pro Tag und Kopf betrug danach 75 l, am Tag des stärksten Konsums 112,5 l. Das Leitungsnetz hatte seinerzeit eine Länge von 86 km, verfügte über 894 öffentliche Hydranten und 415 Schieberhähne sowie etwa 6.000 installierte Wasserzähler.[333]
1889 war die Oker bereits im Harz derart verschmutzt, dass das Braunschweiger Wasserwerk das Wasser nicht von dem ihm anhaftenden Geruch und schlechten Geschmack zu reinigen vermochte,[334] woran sich auch im folgenden Winter von 1890/’91 nichts änderte.[335] Der fiel zudem besonders streng aus, so dass die Oker zeitweise zugefroren war. Dadurch war der Zutritt von Sauerstoff nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich, so dass die sonst eintretende Selbstreinigungskraft des kleinen Flusses ausblieb und sein derart u. a. mit Eisenverbindungen belastetes Wasser nicht einmal mehr zum Waschen der Wäsche geeignet war – vom Trinken ganz zu schweigen.[336] Die darauf folgende „Wasserkalamität“[337] wurde zum Gegenstand erregter Diskussionen und lebhafter Regierungs- wie Verwaltungsaktivitäten.[338]
1897 stellten Beckurts und Blasius fest, dass die Stadt Braunschweig immer noch mit Flusswasser versorgt wurde, aber mehr und mehr bestrebt war, „die vorhandenen Flusswasserversorgungen durch Grundwasserversorgung zu ersetzen“, nachdem Untersuchungen gezeigt hatten, dass „die Sandfiltration zur Zeit der Verseuchung der Flussläufe keinen genügenden hygienischen Schutz“ mehr gewährte und zudem „die immer mehr zunehmende Verunreinigung der öffentlichen Wasserläufe“ drängte.[339]
Angesichts der Verschmutzung der Oker musste man schließlich zur Grundwasserversorgung übergehen, wofür allerdings erst einmal geeignetes Wasser gefunden werden musste,[340] da zum Teil die
Tiefwasserströmung die Stadt bereits in einem Zustande erreicht, der wenig dazu einladet, das Wasser zu einer städtischen Versorgung zu benutzen.“[341]
Überhaupt erschien einigen die Idee befremdlich, Grundwasser unterhalb der Stadt Braunschweig gewinnen zu wollen, denn sie befürchteten, „dass [sic!] früh oder spät dieses Wasser durch Zuthun des Menschen selbst verdorben werden könnte.“[342] Gleichwohl konnten 1892/1902 zunächst das Wasserwerk am Bienroder Weg (am Dowesee) und 1911 das in der Rüninger Feldmark am Kennel errichtet und in Betrieb genommen werden.[343] Heute bezieht die Braunschweiger Region ihr Trinkwasser per Fernleitung aus Talsperren im Harz und aus Brunnenanlagen.
[295] Hierzu und zum folgenden MODERHACK, Braunschweiger Stadtgeschichte, S. 176 ff.
[296] Siehe dazu den oben wiedergegebenen Spottvers.
[297] Seinerzeit gehörten ihm Heinrich Caspari, Ernst Meier, A. Bammel, J. R. Grote, F. Mittmeyer, H. Bardenwerper und G. D. Carstens an.
[298] Quelle: HAB Wolfenbüttel, Signatur: M: Gn Kapsel 52 (42).
[299] Nr. 8827.
[300] „Caspari-Vertrag“: Vertrag zwischen der Herzoglich Braunschweigischen Landes-Regierung und der Stadt Braunschweig über verschiedene von der Stadt in Anspruch genommene Güter und Gerechtsame und sonstige Vermögensverhältnisse derselben, Art. 8 und Anlage D Landtagsabschied vom 9. September 1858 (GVS Nr. 51), abgedruckt bei WOLFF, Sammlung. Band I, Nr. 131. § 6 Abs. 2 lautet: „Wenn die Stadt zu einer Verbesserung der städtischen Wasserleitungen nach einem von der Landesregierung genehmigten Plane schreitet, so sollen auch zu dieser für die Straßenreinigung und Feuerpolizei besonders wichtigen Anlage und zu den Kosten der Unterhaltung derselben zu jedem 1000 – 305 Rthlr. aus der Staatskasse beigetragen werden.“ § 6 Abs. 3: „Die Kosten des Baues und der Unterhaltung der Gödebrunnen, der damit in Verbindung stehenden Röhrenzüge und der nicht gewissen Societäten angehörigen öffentlichen Brunnen […] Nach Einrichtung einer neuen städtischen Zentral-Wasserkunst sollen diese Kosten […] auf die Stadtcasse übernommen und zu denselben ebenso wie zu den Kosten der Wasserleitung aus der Staatscasse 305 Rthlr. zu jedem 1000 Rthlr. beigetragen werden.“
[301] AHLERS/EGGERT, Abwasserverband, S. 9.
[302] BECKURTS/BLASIUS, Wasserversorgung der Gemeinden, S. 401.
[303] BECKURTS/BLASIUS, Wasserversorgung der Gemeinden, a. a. O.
[304] 14. ordentl. Landtag von 1872-1874, Prot. 7, S. 36.
[305] 14. ordentl. Landtag von 1872-1874, Prot. 8, S. 39.
[306] Dazu und zum folgenden: 14. ordentl. Landtag von 1872-1874, Prot. 12, S. 69 f.
[307] 14. ordentl. Landtag von 1872-1874, Prot. 12, S. 69.
[308] 14. ordentl. Landtag von 1872-1874, a. a. O.
[309] 14. ordentl. Landtag von 1872-1874, Prot. 12, S. 70.
[310] 14. ordentl. Landtag von 1872-1874, Prot. 21, S. 123.
[311] 14. ordentl. Landtag von 1872-1874, Prot. 31, S. 178.
[312] 14. ordentl. Landtag von 1872-1874, Prot. 31, S. 179.
[313] 14. ordentl. Landtag von 1872-1874, Anl. 126 zu Prot. 39.
[314] Die alle aus der Stadt Braunschweig stammenden Mitglieder waren der Baurat Hartmann als Vorsitzender, der Direktor der städtischen Gas- und Wasserwerke Reuter sowie der Ingenieur Mitgau, s. 14. ordentl. Landtag von 1872-1874, Anl. 209 zu Prot. 73, S. 1.
[315] 14. ordentl. Landtag von 1872-1874, a. a. O.
[316] 14. ordentl. Landtag von 1872-1874, Anl. 209 zu Prot. 73, S. 2.
[317] Mitglieder waren die Abgeordneten Schmid (Obergerichtsrat aus Wolfenbüttel; zu ihm s. unten, Fn. 533, S. 120 f.), Röver (Halbackermann aus Thiede), Reuter (Direktor der städtischen Gas- und Wasserwerke in Braunschweig), Bode (Kreisassessor aus Holzminden) und Lincker (Forstmeister aus Königslutter), s. 14. ordentl. Landtag von 1872-1874, Anl. 238 zu Prot. 84, S. 3.
[318] 14. ordentl. Landtag von 1872-1874, Anl. 238 zu Prot. 84, S. 1.
[319] 14. ordentl. Landtag von 1872-1874, Anl. 238 zu Prot. 84, S. 2.
[320] 14. ordentl. Landtag von 1872-1874, Anl. 238 zu Prot. 84, S. 3.
[321] 14. ordentl. Landtag von 1872-1874, a. a. O.
[322] 14. ordentl. Landtag von 1872-1874, Anl. 249 zu Prot. 88.
[323] Eine weitergehende Untersuchung der Behandlung des Projekts „Harzwasserleitung“ durch Landesversammlung und -regierung hätte den Rahmen der vorliegenden Arbeit gesprengt, könnte aber durchaus zum Gegenstand eines Folgevorhabens werden, Verf.
[324] APPELT / MÜLLER, Wasserkünste, S. 96.
[325] APPELT / MÜLLER, Wasserkünste, S. 97.
[326] APPELT / MÜLLER, Wasserkünste, S. 101.
[327] PINGEL, Stadterweiterung, S. 73 m. w. N.
[328] PINGEL, a. a. O.
[329] APPELT / MÜLLER, Wasserkünste, S. 116.
[330] Braunschweigische Anzeigen 1876, 35. Stück (Februar 1876), S. 440; Hervorhebungen im Original.
[331] Dazu GERSON, Verunreinigung, S. 192.
[332] DENKLER, Nachwort, in: RAABE, Wilhelm: Pfisters Mühle, S. 234 f. m. w. N. (Fn. 30 f.).
[333] BECKURTS/BLASIUS, Wasserversorgung der Gemeinden, S. 402.
[334] BENÖHR, Umweltrechtsentwicklungen, S. 46.
[335] KLOOS, Wasserversorgung, S. 3.
[336] Wegen der Einzelheiten wird verwiesen auf: NLA-StA WF, 12 Neu 5 Nr. 5815.
[337] Dazu unten, Erster Teil, 3.4.3.4., S. 85 f.
[338] Dokumentiert in NLA-StA WF, 12 Neu 5, Nr. 5815.
[339] BECKURTS/BLASIUS, Wasserversorgung der Gemeinden, S. 400.
[340] Ausführlich zur Suche: KLOOS, Wasserversorgung, S. 7 ff.
[341] KLOOS, Wasserversorgung, S. 6.
[342] KLOOS, Wasserversorgung, S. 14.
[343] MODERHACK, a. a. O.