Bürgerliche Revolution, Bauernbefreiung und Industrialisierung als Wegbereiter des neuen Wasserrechts
Nach seiner Restauration auf dem Wiener Kongress war das Herzogtum Braunschweig in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einer Reihe tief greifender Veränderungen unterworfen, deren Höhepunkt der Aufruhr in der Hauptstadt Braunschweig am 6. und 7. September 1830 darstellte. Er führte nicht nur zu einem Wechsel an der Spitze der Regierung des norddeutschen Kleinstaates. In der folgenden Zeit setzte vielmehr eine rege Gesetzgebungstätigkeit ein, die dem Herzogtum neben einer neuen, modernen Verfassung auch eine Reihe weiterer Reformgesetze brachte.
Durch die ab 1834 mit den Agrarreformen beginnende „Bauernbefreiung“ und vor allem die Flurbereinigung konnten die landwirtschaftlichen Erträge beträchtlich gesteigert werden. Die dafür verantwortliche intensive Bewirtschaftung des Bodens brachte zugleich eine zunehmende Inanspruchnahme der Gewässer im Herzogtum mit sich: Sie wurden zur Ableitung des Wassers bei der Entwässerung des Bodens benötigt, es wurde Wasser zur Bewässerung der Ackerflächen entnommen und die Betreiber von Wassermühlen etwa waren an der Nutzung der Triebkraft des Wassers interessiert. Ließen sich die verschiedenen Nutzungsarten nicht miteinander vereinbaren oder reichte die Wassermenge nicht aus und konnten damit die Bedürfnisse aller an der Gewässernutzung Interessierten nicht im gewünschten Maße befriedigt werden, kam es zu Nutzungskonflikten.
Das Wachstum der Landwirtschaft förderte die spätere Industrialisierung im Herzogtum, vor allem die Errichtung und den Betrieb von Fabriken, die landwirtschaftliche Erzeugnisse verarbeiteten, wie die in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts zahlreich entstehenden Zuckerfabriken. Sie vor allem entnahmen aus den Gewässern in Braunschweig das für die Zuckerherstellung nötige Wasser. Das nicht im Produktionskreislauf verbleibende, mit verschiedenen organischen und anorganischen Stoffen belastete Wasser dagegen konnten sie anfangs noch weitgehend unbehandelt als Abwasser in die kleinen Flüsse und Bäche des Herzogtums einleiten und damit kostengünstig entsorgen. Nachdem damit auch die aufkommende und zusehends rascher wachsende Industrie den Nutzen der Gewässer für ihre Zwecke erkannt hatte, verschärfte sich das Problem: Nun stritten nicht nur verschiedene Vertreter der Landwirtschaft über die Nutzung des Wassers miteinander, sondern es kamen Konflikte zwischen landwirtschaftlicher und industrieller Nutzung hinzu.
1849 endlich konnte ein konkreter Streit zwischen Landwirten und Betreibern von Wassermühlen von den angerufenen Verwaltungsbehörden auf der Grundlage des ihnen zur Verfügung stehenden wasserrechtlichen Instrumentariums nicht mehr zufrieden stellend entschieden werden, so dass der Ruf nach neuen gesetzlichen Regelungen laut wurde.