Ziele der Arbeit, Forschungsfragen und Stand der Forschung

Die Arbeit soll die Ursachen, den Verlauf sowie die Ergebnisse der von 1849 bis 1851 andauernden ersten sowie der 1870 beginnenden und 1876 mit Erlass des Wassergesetzes abgeschlossenen zweiten Phase der Wassergesetzgebung im Herzogtum Braunschweig aufzeigen.

Die Ursachen waren bereits in der neuen Verfassung von 1832 angelegt, zunächst aber nicht zum Tragen gekommen, da noch keine tatsächliche Notwendigkeit bestand, das Wasserrecht neu zu regeln. Die ergab sich erst und vor allem mit dem Wandel von der Agrar- zur Industriegesellschaft in Folge der Agrar­reformen nach 1834 und der industriellen Revolution in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Nicht zuletzt das vor der Verabschiedung der neuen Gesetze im Dezember 1851 im Herzogtum geltende Wasserrecht aber bot vor dem Hintergrund der Entwicklung von Landwirtschaft und Industrie im Verlauf des 19. Jahrhunderts keine hinreichenden Rechtsgrundlagen mehr für das Handeln von Verwaltung und Justiz, wofür auch folgende Schilderung von Julius von Staudinger aus dem Jahr 1894 spricht:

Die ganz eigenartig veränderte, rasche Entwicklung des Culturlebens im neunzehnten Jahrhundert brachte ganz von selbst auch nach vielen Richtungen neue Rechtsverhältnisse, Rechtsbedürfnisse und Rechtsconflicte mit sich. Die Gesetzgebung hat damit nicht immer und nicht überall gleichen Schritt gehalten. Kommen dann solche Verhältnisse zur richterlichen Beurtheilung, so begegnet man nicht selten der Erscheinung, dass mangels positiver Normen ein ängstliches Anklammern an oft ganz veraltete juristische Schulanschauungen hervortritt, wobei […] namentlich wohlbegründeten alten Rechten gegenüber […] der nötige Schutz nicht zu Theil wird. […].

Aus der großen Zahl derartiger Rechtsvorkommnisse sind namentliche hervorzuheben die vielen rechtlichen Anstände, welche sich in den letzten Jahrzehnten durch die ausgedehnten Verunreinigungen der Wasserläufe mittels der Abwässer und Abfälle aus Fabriken ergeben haben. […]“[31]

Auch das ursprünglich in Braunschweig geltende Wasserrecht entsprach nicht nur irgendwann nicht mehr den Anforderungen der sozialen Wirklichkeit, sondern hatte – unabhängig von tatsächlichen Notwendigkeiten – bereits mit Inkrafttreten der neuen Verfassung im Oktober 1832 nicht mehr den Anforderungen des bürgerlichen Verfassungs- bzw. Rechtsstaats der Zeit entsprochen. Letztlich musste das an seinen Leistungsgrenzen angelangte alte Wasserrecht durch ein den Anforderungen des Verfassungsstaats genügendes Verwaltungsrecht ersetzt oder wenigstens soweit notwendig ergänzt werden, so dass der Erlass neuer Normen schließlich unumgänglich geworden war. Um die Jahrhundertmitte mag nicht nur in dem kleinen Herzogtum ein entsprechend akuter Regelungsbedarf bestanden haben, wofür nicht zuletzt die etwa gleichzeitig in anderen Staaten einsetzende Wassergesetzgebung spricht.[32]

Die Untersuchung des Verlaufs beider Verfahren gibt Aufschluss darüber, welche Akteure auf Seiten von Regierung und Landesversammlung beteiligt waren und welche Beiträge zu den Gesetzen sie jeweils vor welchem Hintergrund leisteten.[33] Insbesondere der Verlauf der Beratung einzelner Vorschriften in der Landesversammlung lässt erste Versuche einzelner Interessen­gruppen zur Einflussnahme auf die Ausgestaltung der neuen Gesetze erkennen.

Daneben soll geklärt werden, warum mit der Neuregelung des Wasserrechts zugleich eine Verlagerung von Aufgaben und Kompetenzen auf den Staat, insbesondere die öffentliche Verwaltung einherging. Das Zitat der Kommission wirft insofern die Frage auf, ob der Verwaltung als „Flußverwaltung“ die Wahrnehmung neuer Aufgaben zugewiesen werden sollte oder ob es – unabhängig von einem darauf gerichteten Willen des Gesetzgebers – nicht ohnehin nur die öffentliche Verwaltung sein konnte, die künftig die Interessen „der öffentlichen Flüsse“ oder vielmehr der Allgemeinheit zu vertreten und ggf. sogar Rechtsstreite im öffentlichen Interesse zu führen hatte. Vor dem Hintergrund ist es nur konsequent, dass einzelne Vertreter der Verwaltung bereits im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens – angefangen vom politischen Impuls über die Beratung einzelner Vorschriften in der Landesversammlung – Einfluss auf den Inhalt der später von ihnen zu vollziehenden Gesetze nahmen.

Die jeweils abschließend dargestellten Ergebnisse der beiden Gesetzgebungsverfahren zeigen zunächst anhand der zuvor herausgearbeiteten Mängel des alten Rechts auf, wieweit das neue Wasserrecht derartige Unzulänglichkeiten beseitigen und damit zu mehr Rechtsklarheit und Rechtssicherheit führen konnte. Über das bloße Beheben von Mängeln hinaus implementierte das neue Recht auch neue Instrumente des Verwaltungsrechts, wie etwa das Erfordernis einer hoheitlichen Gestattung für bestimmte Arten der Gewässerbenutzung, Kontrollerlaubnis, Bewirtschaftungs- und Versagungsermessen, Möglichkeiten zur entschädigungspflichtigen Zwangsenteignung im öffentlichen Interesse, formelle und materielle Präklusion von Ansprüchen Dritter – wie es überhaupt in bestimmten Fällen eine privatrechtsgestaltende Wirkung entfaltete. Das neue Wasserrecht konnte sich dementsprechend nicht auf materielle Vorschriften beschränken, sondern musste nicht zuletzt Bestimmungen über ein ausdifferenziertes Verwaltungs- bzw. Genehmigungsverfahren treffen. Die Ergebnisse beider Verfahren zeigen, ob und wieweit jedenfalls im Hinblick auf das Wasserrecht die „Herrschaft des Verwaltungsrechts“[34] im Herzogtum Braunschweig mit dem Erlass der neuen Gesetze 1851 einsetzte und in welchen Schritten das öffentlich-rechtliche Wasserrecht gegenüber dem ursprünglich überwiegend privatrechtlichen Wasserrecht bis zum Erlass des Wassergesetzes von 1876 zunehmend an Bedeutung gewann.

Zur Erforschung einzelner Aspekte wie auch der Geschichte des Wasserrechts insgesamt sind in den letzten Jahren verschiedene Beiträge geleistet worden.[35] Auch ältere Darstellungen seiner Geschichte liegen vor, etwa Zur Geschichte des deutschen Wasserrechts von Heinrich Geffken.[36] Das Wasserrecht des Herzogtums Braunschweig wurde ebenfalls behandelt, allerdings eher am Rande oder jedenfalls im Rahmen eines Überblicks über das in den deutschen Staaten geltende Wasserrecht.[37]

Monographien zur Geschichte des Wasserrechts im Herzogtum liegen nicht – oder jedenfalls nicht mehr – vor, denn zumindest eine Dissertation zum Wassergesetz von 1876 wurde angefertigt, ist aber nicht erhalten geblieben. [38]


[31] STAUDINGER, Rechtsschutz, in: Blätter für Rechtsanwendung zunächst in Bayern, 1894, S. 129 (129 f.).
[32] Nicht immer umfassende Wassergesetze, aber zumindest Regelungen für Teilbereiche traten in Kraft: 1843 im Königreich Preußen (Gesetz über die Benutzung der Privatflüsse v. 28. Februar), 1846 im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin (Verordnung v. 31. Juli über Entwässerung der Ländereien), 1847 im Königreich Hannover (Gesetz über Entwässerungs-, Bewässerungs- und Stauanlagen v. 22. August), 1849 im Herzogtum Anhalt-Dessau und Anhalt-Köthen (Gesetz über den Betrieb des Bergbaus und die Benutzung der Gewässer usw. v. 14. März), 1849 im Herzogtum Coburg-Gotha (für Coburg: Verordnung über Be- und Entwässerung v. 12. Februar), 1850 im Herzogtum Sachsen-Meiningen (Gesetz, die Verbesserung der Wiesenkultur durch Bewässerung und Entwässerung betr. v. 4. Mai), 1851 im Großherzogtum Baden (Gesetz über Bewässerungs- und Entwässerungsanlagen v. 21. Februar), 1851/’52 im Herzogtum Braunschweig (Gesetz, die Erhaltung der öffentlichen Flüsse und sonstigen Wasserzüge, sowie Veränderungen an denselben betreffend und das Gesetz über die Entwässerung der Grundstücke v. 19. Dezember), 1852 im Königreich Bayern (Gesetz über die Benützung des Wassers, Gesetz über Be- und Entwässerungsunternehmungen, Gesetz über den Uferbau und Wasserschutz, alle v. 28. Mai), 1853 im Großherzogtum Hessen (Gesetz über Regulirung der Bäche v. 19. Februar sowie Gesetz über Aufräumung und Unterhaltung der Bäche v. 18. Februar und Gesetz über Errichtung und Beaufsichtigung der Triebwerke an Bächen v. 20. Februar), 1854 im Großherzogtum Weimar (Gesetz über den Schutz gegen fließende Gewässer und deren Benutzung v. 16. Februar), 1855 im Königreich Sachsen (Gesetz über die Berichtigung von Wasserläufen und die Ausführung von Ent- und Bewässerungsanlagen v. 15. August); s. dazu GLASS, Gesetzgebung, S. 36 ff.; UBBELOHDE, Königreich, S. 4 ff.; Hervorhebung vom Verf.
[33] Die Entwicklung der einzelnen Vorschriften im Verlauf der Verfahren kann anhand der im Anhang abgedruckten Synopsen nachvollzogen werden.
[34] Vgl. zur Entwicklung insgesamt STOLLEIS, Geschichte. Zweiter Band, S. 263.
[35] Etwa von SEILER (1976), KLOEPFER (1994 und 1998), BÜSCHENFELD (1997), RÖNNAU (2001), MARQUARDT (2003).
[36] GEFFKEN, Geschichte, S. 173 ff.
[37] Etwa 1908 von KLOESS, Wasserrecht, S. 138 f., der das Wasserrecht des Herzogtums auf nicht einmal zwei Seiten abhandelt und zu allem Überfluss meint, dem Flussgesetz vom 19. Dezember 1851 sei „das Gesetz über die Entwässerung der Grundstücke vom 9. Dezember 1859 angegliedert“ worden, was nicht zutrifft, denn beide Gesetze wurden am 19. Dezember 1851 verabschiedet. SEILER, Gewässerbenutzungen, S. 72, wiederholt in seiner Dissertation von 1976 die Angaben von KLOESS über das Entwässerungsgesetz, allerdings ohne Belege dafür anzuführen.
[38] Die an der Universität Leipzig von Erwin Blasius angefertigte Dissertation – Öffentliche und Privatgewässer und die Rechtsverhältnisse am öffentlichen Flusse nach dem Brsg. Gesetze vom 20 Juli [sic! Korrekt ist freilich „Juni“, Verf.] 1876 – von 1894 wurde in Folge der Bombenangriffe auf Leipzig und Braunschweig während des zweiten Weltkriegs vernichtet. Zu Blasius siehe VOLKMANN, in: BBL, S. 65; zur Vernichtung der Dissertation liegt Verf. ein Brief mit entsprechenden Angaben des Biographen vor.