Kapitel 8

8. Fazit

Das Wassergesetz knüpfte einerseits durch Übernahme von bewährten Vorschriften vor allem aus dem Flussgesetz an seine Vorgängergesetze an, entwickelte sie andererseits zeitgemäß fort, indem es nun vor allem ausführliche Bestimmungen zur Gewässernutzung traf. Mehr noch als das Verfahren von 1851 war die zweite Phase der Wassergesetzgebung im Herzogtum damit vom Nutzdenken der Zeit geprägt: Mit dem Einsetzen der Industrialisierung, vor allem aber mit dem Wachstum der auf Wasser angewiesenen Zuckerindustrie wuchs das Bedürfnis, sämtliche Gewässer des Herzogtums gleichermaßen für Landwirtschaft wie Industrie optimal nutzbar zu machen. Um auch die Privatgewässer mit einbeziehen zu können, sah der Regierungsentwurf sogar die Aufgabe der in den §§ 1 und 2 des Flussgesetzes von 1851 geregelten Abgrenzung von öffentlichen Flüssen und Privatgewässern anhand ihres Verlaufs vor, was von den Abgeordneten der Landesversammlung aber abgewendet werden konnte. Die Interessen von Landwirtschaft und Industrie am Wasser wurden im Verfahren gleichermaßen berücksichtigt. Einzelnen, der Industrie nahe stehenden Abgeordneten gelang es nicht, die von ihnen beantragte Erweiterung des Rechts zur Zwangsenteignung zu Gunsten industrieller Anlagen durchzusetzen.

Daneben trug das Wassergesetz der zunehmenden Verschmutzung der Gewässer Braunschweigs Rechnung, indem einige Vorschriften der Verhinderung oder wenigstens Vorbeugung schädlicher Gewässerverunreinigungen dienten, auch wenn sie angesichts des seinerzeit herrschenden Zustands der Gewässer letztlich zu spät erlassen wurden. Das zeigte vor allem die „Wasserkalamität“ des Jahres 1891 in der Stadt Braunschweig. Somit war 1876 ein öffentlich-rechtliches Wassergesetz an die Stelle seiner Vorgänger von 1851 getreten, das eine optimale Gewässernutzung im volkswirtschaftlichen Sinn – also im Interesse von Landwirtschaft und Industrie – ermöglicht haben mochte, die zunehmende Verschmutzung der kleinen Flüsse und Bäche in Braunschweig letztlich aber nicht aufhalten oder gar verhindern konnte. Das Interesse „des Publicums“, also das der Allgemeinheit der Bevölkerung an möglichst sauberem Trink- und Brauchwasser konnte letztlich von der Verwaltung nicht vertreten werden. Allerdings muss den Behörden zugestanden werden, dass sie wenigstens versuchten, den Schaden zu begrenzen, indem sie Nutzungsrechte nur unter Auflagen erteilten, nach denen einzuleitendes Abwasser zuvor etwa durch Verrieselung oder andere seinerzeit bekannte Reinigungsverfahren wenigstens vorbehandelt wurde.[1049] Abhilfe konnte letztlich erst im Wege technischer Lösungen und Verfahren, wie der großflächigen Verrieselung des städtischen Abwassers aus der Hauptstadt vor allem auf den Rieselwiesen des Rieselguts Steinhof geschaffen werden.

Die Regierung hatte konsequent nur die absolut notwendigen Bestimmungen in ihren Entwurf aufgenommen, dabei auf die als überflüssig angesehene Regelung von Detailfragen verzichtet und sich nicht zuletzt geschickt der Verweistechnik bedient, so dass es bei gleichzeitig erweitertem Regelungsgehalt mit deutlich weniger Vorschriften als beide Vorgängergesetze zusammen auskam. Im Interesse der „Nationalökonomie“ konnte dadurch ein neues Wasserrecht geschaffen werden, das in sich geschlossen, d. h. möglichst in einem Regelwerk und nicht mehr quer durch die Rechtsordnung verstreut normiert war. Durch die gleichermaßen einfache wie weitgehend generell-abstrakte Ausgestaltung, erfasste das Gesetz anders als seine Vorgänger auch künftige, noch gar nicht absehbare „Benutzungen der öffentlichen Gewässer“. Details, die sich ohnehin aus der „Natur der Sache“ ergaben, berücksichtigte es dementsprechend nicht und klammerte spezielle Anwendungsfälle bewusst aus, die soweit erforderlich an besser geeigneter Stelle in Spezialgesetzen geregelt werden konnten.

Erneut zeigte sich auch während des zweiten Verfahrens die Bedeutung der zur Vorprüfung der Regierungsvorlage von der Landesversammlung aus ihrer Mitte gewählten Kommission. Ihre Änderungsvorschläge reichten zwar nicht so weit wie 1850/’51, als durch die seinerzeit amtierende Kommission der ursprüngliche Entwurf weitgehend umgearbeitet wurde, aber auch 1876 konnte die Kommission deutlichen Einfluss auf die endgültige Fassung des Gesetzes nehmen. Etwa, indem sie die Beibehaltung der 1851 in den § 1 und 2 des Flussgesetzes eingeführten Einteilung sämtlicher Gewässer in öffentliche und private sowie der entsprechenden Abgrenzungskriterien durchsetzte. Daneben erreichte sie die Erweiterung des Anwendungsbereichs von ursprünglich nur zur Wahrung der Interessen der Landwirtschaft bestimmten Vorschriften auf andere Gemeinwohlbelange, etwa das Interesse von Gemeinden an der Versorgung ihrer Einwohner mit Trinkwasser.

Die Entwicklung des Wasserrechts veranschaulicht damit zugleich den Einfluss der Landesversammlung auf die Ausgestaltung der drei Gesetze: War die Abgeordnetenversammlung im Braunschweigischen Regierungssystem überwiegend ein Organ der Sicherheit gegen fürstlichen Absolutismus sowie der Kontrolle der Tätigkeit der Beamten, verstand es die Öffentlichkeit im Sinne der damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse darüber hinaus, immer wieder über die Landesversammlung Reformen einzelner Verwaltungsbereiche in die Wege zu leiten, gelegentlich auch Minister zu stürzen, so dass das „Parlament“ in gewissem Umfang auch eine gestalterische Bedeutung für die Landesentwicklung im 19. Jahrhundert hatte. Beide Normsetzungsverfahren hatten ihren Ursprung in der Landesversammlung und 1849 kam der gesellschaftliche Impuls tatsächlich von außerhalb. Obwohl die Beschwerdeschrift der Gemeinden von der Landesversammlung nicht berücksichtigt werden konnte, hätte der Abgeordnete von Hohnhorst seinen eigenständigen Antrag ohne sie vielleicht nicht gestellt, zumindest nannte er sie als Anlass. Sein Antrag ist ein Indiz für das Induzieren von besonderem Verwaltungsrecht durch die Verwaltung selbst: In Braunschweig waren es vor allem die Kreisdirektionen, die vor Ort mit vielfältigen Problemen konfrontiert wurden und zu deren Regelung im Wege der Eingriffsverwaltung es spätestens im Verfassungs- bzw. Rechtsstaat des 19. Jahrhunderts entsprechender Ermächtigungsgrundlagen bedurfte, so dass der das Verfahren einleitende Antrag des Kreisdirektors vor dem Hintergrund nur folgerichtig ist. Angesichts der jeweils beteiligten Akteure auf Seiten der Landesversammlung war es auch sonst nur konsequent, dass über sie oder aus ihrer Mitte heraus immer wieder Reformen einzelner Bereiche der Verwaltung in die Wege geleitet wurden: Nicht selten wurden leitende Beamte verschiedener Verwaltungszweige zugleich als Abgeordnete in die Landesversammlung gewählt, die sich letztlich rund zur Hälfte aus Beamten zusammensetzte. Während des Verfahrens von 1849 bis 1851 gehörten mit Caspari als Oberbürgermeister der Stadt Braunschweig und von Hohnhorst als Kreisdirektor im Kreis Helmstedt und 1851 im Kreis Braunschweig zwei Verwaltungsjuristen in leitender Position der zur Prüfung der Regierungsvorlage gewählten Kommission an. Ähnliches galt 1876 für den Kommissionsreferenten Schwarzenberg, der zugleich bei der Landesökonomiekommission tätig war. Ferner für Kommissionsmitglieder wie Lerche, der Kreisdirektor in Gandersheim war oder Pappée, den Bürgermeister von Schöningen.

Die Verwaltung oder zumindest einzelne Beamte konnten demnach unmittelbaren Einfluss auf die Gestaltung der Wassergesetze nehmen. Bereits die Einrichtung der Ministerialkommission 1832 als beratende Behörde, die vor allem bei der Erarbeitung von Gesetzesentwürfen durch die Regierung bzw. das Staatsministerium tätig wurde, zeigt, dass im Gesetzgebungsverfahren durchaus auf die Fachkompetenz der leitenden Verwaltungsbeamten zurückgegriffen wurde. Auch aus der Doppelfunktion des Staatsministeriums als Regierungs- und oberster Verwaltungsbehörde folgte zwangsläufig die Beteiligung von leitenden Beamten aus der Verwaltung an der Gesetzgebung. Insbesondere die Beiträge der Geheimräte bzw. Staatsminister Langerfeldt (1851) und Schulz (1876) zeigen, dass sich die von der Regierung in die Versammlung entsandten Mitglieder des Staatsministeriums nicht auf eine lediglich beratende oder erklärende Rolle beschränkten, sondern vielmehr Einfluss auf die Ergebnisse des Verfahrens nahmen.

Die Verabschiedung des neuen Gesetzes im Juni 1876 schloss für das Wasserrecht in Braunschweig eine für das 19. Jahrhundert typische Rechtsentwicklung ab, indem nach der 1851 eingeleiteten Trennung von privatem und öffentlichem Wasserrecht und der folgenden Auseinanderentwicklung beider Rechtsgebiete ein nun überwiegend öffentlich-rechtliches Wassergesetz in Kraft trat. Es sollte das Ende des Herzogtums 1918 ebenso wie das Aufgehen des Freistaates Braunschweig im 1946 neu gegründeten Land Niedersachsen überdauern und erst im Juli 1960 durch das neue Niedersächsische Wassergesetz (NWG)[1050] aufgehoben werden.


[1049] Siehe dazu das vor der Kreisdirektion Wolfenbüttel durchgeführte Genehmigungsverfahren zur Errichtung und Betrieb der Zuckerrübenfabrik in Hedwigsburg, dokumentiert in NLA-StA WF, 127 Neu, Nr. 3349; zu den einzelnen, von den Behörden nach Inkrafttreten des Wassergesetzes 1876 verhängten Auflagen s. MÜGGE, Entwicklung, S. 140 ff.
[1050] Vom 7. Juli 1960, Nds.GVBl. S.105.