5. Der „politische Impuls“ von 1849
1849 kulminierte die dargestellte Entwicklung: Bei zunehmender Intensivierung der Gewässernutzung bedurfte es angesichts immer häufiger auftretender Nutzungskonflikte und eines zu deren Regelung durch die Verwaltungsbehörden nicht (mehr) geeigneten überwiegend gemeinen Wasserrechts nur noch eines gesellschaftlichen bzw. politischen Impulses, um ein erstes Gesetzgebungsverfahren anzuregen. In Braunschweig war es vor allem die 1841 neu erlassene Allgemeine Mühlenordnung[510], die mit zur Eskalation der Nutzungskonflikte beitrug und damit letztlich den Erlass neuer Regelungen erforderlich machte. Nach ihr konnten die Betreiber einer ordnungsgemäß errichteten und betriebenen Wassermühle ihre Anlage – jedenfalls hinsichtlich der Nutzung der Triebkraft des Wassers – fast beliebig modifizieren. Ob das auch die Stauung der jeweiligen Gewässer umfasste, kann dahinstehen. Einige Mühlenbetreiber jedenfalls stauten Gewässer auf, worauf die von den Folgen betroffenen Landwirte bei den zuständigen Behörden um Abhilfe baten, damit aber keinen Erfolg hatten. In einem konkreten Fall veranlassten daraufhin die durch die Stauung der Oker von den Mühlen bei Rüningen und Eisenbüttel verursachten Probleme die Gemeinden Leiferde, Rüningen, Klein Stöckheim und Melverode, sich in einer Beschwerdeschrift an die Landesversammlung zu wenden.[511] In ihrer Eingabe beklagten sich die Gemeinden über die für sie nachteilige Stauung der Oker durch die Mühlen: Das aufgestaute Wasser schmälerte ihre Weidegründe im Okertal sowie ihren Heugewinn und machte das Viehfutter durch Schlamm fast unbrauchbar.[512]
Vor allem aber rügten die Gemeinden das Verhalten bzw. das Untätigbleiben der von ihnen angerufenen Behörden, die ihren „Anträgen auf Regulierung der Angelegenheit“ kein Gehör geschenkt hätten. Sie waren lediglich mit Resolutionen vertröstet worden, die technische Ausdrücke und Berechnungen enthielten, ansonsten aber keine Abhilfe herbeiführten. Überdies hätten sie
Verschiebungen, Entschuldigungen und solche Redensarten von den Behörden erhalten, die die Schuld von Einem auf den Anderen schöben, wobei sie von den Müllern, obgleich über ihre Beschwerden in der Amtsregistratur schon genug Acten vorhanden seien, fortwährend auf die kränkendste Weise hintergangen würden.“[513]
Das wollten die Betroffenen nicht länger hinnehmen und baten daher die Abgeordneten, eine Nivellierung des Okertals durch unbefangene Wasserbaubeamte durchführen zu lassen und auf der Grundlage der Messergebnisse die Mühlenziele[514] festzulegen. Auch sollten zur Überwachung der Einhaltung der Vorschriften Beauftragte der Gemeinden bestimmt werden, um ggf. die Schleusen an den Mühlen nach eigenem Ermessen öffnen lassen zu können.
[510] GVS Nr. 37.
[511] Was nach der Novellierung des § 114 NLO von 1848 möglich war, s. dazu oben, Erster Teil, 2.2., S. 46 f.
[512] Abgedruckt unter Nr. 34, in: 6. ordentl. LT von 1848-1851, Anl. 2 zu Protokoll Nr. 27, S. 19.
[513] 6. ordentl. LT von 1848-1851, Anl. 2 zu Protokoll Nr. 27, S. 19.
[514] „Mühlenziele“ meint Stauziele, d. h. die Mühlenbetreiber sollten die Oker nur bis zu einem festgelegten Pegelstand aufstauen dürfen.