Unterunterabschnitt 4.2.3.1

4.2.3.1.       Begründung und Grenzen des Gemeingebrauchs

Grund und Grenze des allen zustehenden Gebrauchs lagen in Unentbehrlichkeit und Unerschöpflichkeit des Wassers. Die Nutzung im Rahmen des Gemeingebrauchs musste demnach beschränkt sein auf Wasser, das als unerschöpflich angenommen werden durfte und auf solche Nutzungsarten, die zur Befriedigung der notwendigsten Bedürfnisse des allgemeinen Lebens dienten und ohne besondere Vorrichtungen im Wasser vorgenommen werden konnten.[479] Der Umfang des Gemeingebrauchs konnte sich damit nur auf einzelne Teile des Wassers erstrecken, die sofort durch die nachströmende Menge ohne spürbaren Nachteil für das Ganze (flumen) wieder ersetzt wurden, also auf Trinken, Tränken des Viehs, Schöpfen ohne besondere Vorrichtung, Waschen, Baden und ähnliche Gebrauchsarten.[480] Das Recht auf den Genuss des fließenden Wassers (aqua profluens) wurde – als auf dem Bedürfnis der menschlichen Natur beruhend – als allgemeines Menschenrecht anerkannt. Seine Verletzung erschien damit zugleich als Verletzung der Persönlichkeit. Zum Schutz des Rechts stand dem Verletzten die Injurienklage zu, die jedoch hinfällig wurde, wenn von Seiten der zuständigen Behörde im öffentlichen Interesse oder aus polizeilichen Gründen eine tatsächliche Störung des Rechts verfügt worden war.[481]

Der Gemeingebrauch durfte überdies weder der Beschaffenheit, noch dem Lauf oder Stand eines Gewässers einen erheblichen Nachteil zufügen. Jeder weitergehende Gebrauch, etwa das Fischen oder das (Befahren mit) Schiffen, fällt nach den römisch-rechtlichen Quellen nicht mehr unter den Begriff der aqua profluens, sondern vielmehr unter den des flumen. Der Gemeingebrauch an den Flüssen und Bächen wurde bei den Römern nicht mehr als Menschenrecht angesehen, sondern vielmehr als Ausfluss des Staatsbürgerrechts. Er stand jedem Bürger zu, der Gelegenheit hatte, ihn auszuüben, etwa, weil er ein Schiff besaß, um die Schifffahrt zu betreiben, ein am Bach gelegenes Grundstück besaß oder ein Recht zur Überleitung, um Wasser aus dem Bach abzuleiten.[482]

Für den Einzelnen begründete der Gemeingebrauch kein Vermögensrecht und konnte deshalb ebenso wenig Gegenstand der Veräußerung sein, wie er der Verjährung unterlag, so dass er weder durch Nichtgebrauch verloren ging, noch ein Recht zum Gemeingebrauch durch Verjährung erworben werden konnte. Anders als die bloße Wasserwelle wurden die Flüsse und Bäche nicht als res communis, sondern als res publicae bezeichnet. Sie waren Teil des Staatsgebietes, gehörten dem Volk und fielen damit unter das imperium des Volkes, also der Gesetzgebung und der Aufsicht des Staates, in dem sie fließen. Daher konnten Fremde von den Rechten des Gemeingebrauchs ausgeschlossen werden.[483]


[479] HESSE, Grundzüge, in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts, Band 7 (1865), S. 205.
[480] HESSE, a. a. O., S. 206.
[481] HESSE, a. a. O., S. 207.
[482] HESSE, a. a. O., S. 251.
[483] ELVERS, Recht, in: Themis 1841, S. 413 (431), wobei jedenfalls hinsichtlich der Schifffahrt später das Völkerrecht hiervon abweichende Regelungen getroffen hat, s. HESSE, a. a. O., S. 255.