Unterabschnitt 4.2.2

4.2.2. Eigentum an den privaten und den öffentlichen Flüssen

Der Grundsatz des römischen Rechts, wonach jedes beständig fließende Gewässer ein öffentlicher Fluss ist, konnte bereits bestehende Rechte an den Flüssen nicht beseitigen.[460] Damit konnte in Deutschland auch nach der Rezeption des römischen Rechts jedes nicht schiffbare Gewässer im Privat- und insbesondere im Miteigentum stehen, sofern entsprechende Rechte am Wasser bisher daran ausgeübt worden waren.[461] Nur im entgegen gesetzten Fall sollte die römische Regel anwendbar sein und insbesondere sollte jedes Gewässer zu den öffentlichen gezählt werden, über das der Staat bisher schon verfügt hatte.[462]

Bereits der Begriff des „Eigentums“ wurde im Schrifttum des 19. Jahrhunderts jedenfalls hinsichtlich der Gewässer nicht einheitlich verwendet. Zum Teil war vom „Eigentum des Staates“ an den Flüssen die Rede, womit aber kein Eigentum im Sinne eines

ausschließlichen Rechte[s] an einer Sache, mit der Befugnis von derselben, auf welche Art es sey, einen selbstnützigen Gebrauch zu machen“[463]

gemeint war, welches dem Eigentümer unter anderem das Recht eingeräumt hätte, über das Wasser rechtsgeschäftlich zu verfügen. Gemeint war vielmehr das Hoheitsrecht des Staates am Wasser, aus dem bestimmte Befugnisse des Staates hinsichtlich der Regelung und Überwachung der Benutzung der Gewässer abgeleitet wurden.

Andere dagegen nahmen ein echtes Eigentumsrecht des Staates im o. g. Sinne an den öffentlichen Flüssen an,[464] wobei einschränkend angenommen wurde, die Regierung müsse die öffentlichen Sachen dem Gemeingebrauch der Untertanen überlassen.[465] Später wandten vor allem die Vertreter der Eigentumstheorie gegen die Annahme eines reinen Hoheitsrechts des Staates an den öffentlichen Flüssen ein, dass man die „Wasserwelle im Flusse“ (aqua profluens) nicht mit dem Fluss, also der Gesamtheit des fließenden Wassers gleichsetzen dürfe.[466] Die einzelne Welle habe keinen Bestand und verändere sich von Augenblick, demnach könne der Beherrschungswille auf sie nicht gerichtet sein. Dagegen sei die Gesamtheit des fließenden Wassers zu beherrschen. Folglich kann an den einzelnen beweglichen Wasserteilen, aus denen sich der Fluss jeden Augenblick erneuert, kein Eigentum begründet werden.[467] Der Fluss insgesamt bildet aber etwas Ganzes, Bleibendes, auf das der Begriff des Eigentums angewendet werden kann. Einige differenzierten daneben gleichwohl nach der Größe der Gewässer und unterschieden bei Bächen etwa zwischen dem Wasser und dem aus Wasserbett und Ufer bestehendem Bach selbst.[468] Andere brachten dagegen vor, dass man nach der Auffassung zu „Bächen ohne Wasser“ gelangte.[469] Kritisch wurde jedenfalls zur Eigentumstheorie vorgebracht, sie bildete für das Wasserrecht einen „unversiegbaren Quell von Controversen“.[470]

Ihr gegenüber hielten hinsichtlich der öffentlichen Flüsse einige nach wie vor an der ursprünglich von Keller und Jhering entwickelten Hoheitstheorie fest. Nach der von Friedrich Ludwig Keller vertretenen Auffassung, war die

dem Staat unzweifelhaft zustehende Herrschaft über die res extra commercium – öffentliche Gewässer, Brücken, […]“[471]

keine privatrechtliche, kein Eigentum, sondern gehörte vielmehr zu den Souveränitätsrechten und machte insbesondere einen Teil der Polizeigewalt des Staates aus. Daran lehnte sich Jhering an, nach dem das römische Recht die öffentlichen Sachen (res publicae) als res extra commercium bezeichnete und damit das Eigentum an ihnen vollständig ausschloss.[472] Für die öffentlichen Flüsse wurde zur weiteren Begründung zunächst auf das Beiwort publicum abgestellt, das noch nicht ein Eigentumsrecht bezeichnet, so dass ein Schluss vom bloßen Namen – flumina publica – auf ein Eigentumsrecht des Staates an den öffentlichen Flüssen als unzulässig angesehen wurde.[473] Vor allem aber war der Eigentumsbegriff aufgrund der natürlichen Beschaffenheit des fließenden Wassers eines Flusses auf dasselbe gar nicht anzuwenden und es dem Gebiet der Privatberechtigung damit entzogen. Besitz wie Eigentum setzten körperliche Sachen voraus, über die eine faktische und eine rechtliche Herrschaft möglich sind. Stetig fließendes Wasser aber kann aufgrund der Kontinuität seines Flusses, der ununterbrochenen Bewegung seiner Masse und dem Mangel eigener, fester körperlicher Grenzen als Ganzes nicht festgehalten werden und entbehrte damit als solches der wesentlichen Voraussetzung des Eigentums daran.[474]

Das lag gleichermaßen in der Natur der Sache der kleinen wie der großen Flüsse, die dementsprechend nicht Gegenstand des Eigentums sein konnten. Der Eigentumsbegriff stand aber fest ohne Rücksicht auf das Subjekt, auf das sich das Eigentum bezog, folglich konnte an den Gegenständen, an denen aufgrund ihrer natürlichen Beschaffenheit ein Privatmann kein Eigentum erlangen konnte auch der Staat kein Eigentum erlangen. Das entsprach insofern der klassischen römisch-rechtlichen Auffassung, dass auch die römischen Juristen ein wirkliches Eigentum des Volkes oder des Staates an den öffentlichen Flüssen nicht angenommen hatten.[475]

In Braunschweig wurden hinsichtlich der öffentlichen Gewässer das Aufsichtsrecht des Staates und dessen ausschließliche Befugnis, Überfahrten und Brücken anzulegen sowie Bestimmungen über die Schifffahrt zu treffen von jeher anerkannt.[476] Die öffentlichen Gewässer des Herzogtums befanden sich nicht im Privateigentum, sondern waren vielmehr zum Gebrauch durch die Allgemeinheit bestimmt.[477] Auch wurde kein Eigentum des Staates, sondern lediglich sein Hoheitsrecht an den öffentlichen Flüssen angenommen, so dass die Landesregierung die Benutzung der Gewässer beaufsichtigte und allein befugt war, Überfahrten und Brücken anzulegen, das Wasser schiffbar zu machen und Bestimmungen über die Schifffahrt zu erlassen, was später insbesondere hinsichtlich der Schifffahrt auf der Weser geschah.[478]


[460] EICHHORN, Einleitung, § 268, S. 664.
[461] EICHHORN, Einleitung, § 268, S. 664.
[462] EICHHORN, Einleitung, § 268, S. 664.
[463] DANZ (1800), Handbuch, S. 374.
[464] MAURENBRECHER, Lehrbuch, S. 393.
[465] MAURENBRECHER, Lehrbuch, S. 392.
[466] KAISENBERG, Recht, S. 14 m. w. N.
[467] RISSMANN, Wasserrecht, S. 1.
[468] ELVERS, Recht, in: Themis, Band 1 (1841), S. 413 (428) und GERBER, System, S. 140 f.
[469] BÖRNER, Revision, in: AcP, Band 38 (1855), S. 149 (171); HESSE, Grundzüge, in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts, Band 7 (1865), S. 191 m. w. N.
[470] HESSE, a. a. O., S. 316.
[471] Zitat bei KAISENBERG, Recht, S. 3 m. w. N.
[472] KAISENBERG, Recht, S. 4.
[473] S. dazu und zum folgenden KAISENBERG, Recht, S. 11 m. w. N.
[474] KAISENBERG, Recht, S. 12.
[475] Ausführlich dazu: HESSE, Grundzüge, in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts, Band 7 (1865), S. 183.
[476] STEINACKER, Privatrecht, S. 355 f.; HAMPE, Privatrecht, S. 388.
[477] STEINACKER, Privatrecht, S. 355 Fn. 2 m. w. N.
[478] STEINACKER, Privatrecht, S. 356; siehe dazu etwa das Reglement für die auf der Weser bei Holzminden anlegenden Schiffe und Flöße vom 22. Oktober 1852, GVS Nr. 42.