Unterabschnitt 4.1.3

4.1.3. Mühlenrecht

Das sogenannte Mühlenrecht ist nichts Anderes, als ein aus zweifelhaften Analogien, Billigkeitsgründen und Zweckmäßigkeitsregeln geschöpftes Juristenrecht, welches einen unerschöpfbaren Quell von Kontroversen in sich trägt.“[400]

Erste spezielle Regelungen der Wassernutzung erfolgten auf Länderebene bereits im Mittelalter durch das Mühlenrecht. Die ersten Sondergesetze waren die Mühlenordnungen des 15.-18. Jahrhunderts, die teilweise auch die Staurechte und Staupflichten regelten.[401] Bereits nach „ältestem Rechte“ war jeder Grundeigentümer dazu berechtigt, Wassermühlen anzulegen.[402] Nach dem alemannischen Gesetz war das ohne weiteres möglich,[403] wenn ihm beide Ufer gehörten, andernfalls musste der Eigentümer des auf der anderen Seite des Gewässers liegenden Grundstücks um Erlaubnis gefragt oder das Grundstück musste von ihm gekauft werden. Aus derartigen alten Rechten folgten zugleich Aufsichtsrechte des Staates über derartige Anlagen: Keine Mühle oder sonstige Stauanlage durfte errichtet werden, die einem Dritten schadete. War das doch der Fall, konnte die Mühle wieder abgerissen werden. Zugleich bedurften die Mühlen eines besonderen Schutzes, des sog. Mühlfriedens, weil sie zumeist an abgelegenen Orten errichtet wurden. Dementsprechend wurde etwa der Diebstahl in einer Mühle deutlich strenger bestraft als der in gewöhnlichen Gebäuden. Spuren des Mühlfriedens finden sich auch in den Rechtsbüchern. Nach dem Sachsenspiegel gehörten die Mühlen zu den befriedeten Sachen; ihre Beraubung wurde ebenso bestraft wie die der Kirchen.[404] Nach dem Schwabenspiegel hatten Mühlen bessere Rechte als andere Häuser.[405] Auch wurden die Mühlen als gemeinnützige Einrichtungen angesehen. All das führte in Verbindung mit dem Aufsichtrecht des Staates allmählich zu einem Mühlenregal, worunter das Recht eines Landesherrn verstanden wurde, die Errichtung neuer Mühlen von seiner Erlaubnis abhängig zu machen. Spuren davon finden sich bereits im 10. Jahrhundert und ab dem 12. Jahrhundert breitete sich das Regal immer mehr aus, so dass gegen Ende des Mittelalters allgemein anerkannt war, dass an öffentlichen Flüssen Mühlen nicht ohne die Erlaubnis des Landesherrn angelegt werden durften.[406] Frühzeitig entstanden in den einzelnen Ländern besondere Mühlenordnungen, die zumeist detaillierte Vorschriften über den Stau-, Merk- oder Sicherpfahl, über den Mahlzwang, Mühlenbann und Mühlzins, über die Mahlmenge und andere Einzelheiten enthielten.[407]

Auch im 18. und 19. Jahrhundert wurden Errichtung und Betrieb von Mühlen durch spezielle Vorschriften geregelt.[408] Nach der 1841 im Herzogtum Braunschweig neu erlassenen Allgemeinen Mühlenordnung[409] konnte die Befugnis zur Errichtung und zum Betrieb neuer Mühlen dort allein durch eine Gewerbekonzession erworben werden.[410] Solche Konzessionen wurden von den Kreisdirektionen mit Genehmigung des Staatsministeriums erteilt. Versagt wurde die Genehmigung dann, wenn die Errichtung einer neuen Anlage nicht erforderlich war, um den Landeseinwohnern die Beschaffung ihres Mahlwerksbedarfs[411] in angemessener Güte und ohne unverhältnismäßige Kosten zu gewährleisten.

Bestimmte Änderungen an vorhandenen Anlagen wurden genauso behandelt wie eine neu zu errichtende Mühle, etwa die Umstellung auf den Betrieb mit einer Kraft anderer Art, als der bisher zum Einsatz gekommenen.

Keiner Konzession, sondern lediglich einer polizeilichen Erlaubnis bedurften neue Einrichtungen an vorhandenen Wassermühlen,

welche eine bessere Benutzung des der Mühle zugehörigen Gefälles zum Umtriebe der Maschinerie bezwecken […], sofern damit keine Vermehrung der Mahlgänge verbunden“

wurden.[412] Zulässig war jegliche Veränderung der Wasserräder, ohne dass derartige Veränderungen als neue Mühlenanlage angesehen und damit konzessionspflichtig wurden.[413] Auch blieb es jedem Anlagenbetreiber überlassen, die Mahlgänge der Mühle zu vermehren, sofern die Vermehrung auf den Zweck beschränkt war, bestimmte Arten von Mahlwerk mit der neuen Vorrichtung zweckmäßiger zu produzieren, ohne zugleich dabei den Betrieb insgesamt zu vergrößern.[414]

Früher waren Mühlen als gemeinnützige Einrichtungen angesehen und begünstigt worden, indem sie zu den befriedeten Sachen gezählt wurden. Auch stellten sie sich als eine ergiebige Quelle fiskalischer Nutzung dar.[415] Demgegenüber wurde der Wert der landwirtschaftlichen Bewässerung noch nicht hinreichend erkannt und der Gemeingebrauch noch wenig in der Art ausgeübt. Damit lässt sich aber nicht rechtfertigen, dass man bei der Entwicklung des Mühlenrechts die Grundsätze vom „gemeinen Gebrauch“ bzw. Gemeingebrauch (usus publicus) an Flüssen und Bächen außer Acht ließ.[416]

Leitende Grundsätze über die Benutzung des Wassers insgesamt existierten im Partikularrecht des Herzogtums bis dahin nicht, so dass über allgemeine Fragen der Nutzung des Wassers überwiegend noch das gemeine Recht zu entscheiden hatte. Allerdings nicht ausschließlich: Mit der Rezeption wurde in Braunschweig das Recht des Sachsenspiegels vom römischen und kanonischen Recht zunehmend verdrängt und seine Anwendung schließlich sogar untersagt, was aber nie völlig durchzusetzen war,[417] so dass auch das vor der Rezeption geltende ältere deutsche Recht bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen war.


[400] HESSE, Grundzüge, in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts, Band 7 (1865), S. 262.
[401] WÜSTHOFF, Einführung, S. 17.
[402] BAUMERT, Unzulänglichkeit, S. 15.
[403] Nachweise bei BAUMERT, a. a. O.
[404] BAUMERT, Unzulänglichkeit, S. 13 m. w. N.
[405] BAUMERT, Unzulänglichkeit, S. 13 m. w. N.
[406] BAUMERT, Unzulänglichkeit, S. 13.
[407] BAUMERT, Unzulänglichkeit, S. 14.
[408] SEILER, Gewässerbenutzung, S. 72; zum Mühlenrecht STEINACKER, Privatrecht, S. 208 ff. und SCHNEIDER, Fragmente, S. 32.
[409] Allgemeine Mühlenordnung vom 21. Dezember 1841, GVS Nr. 37.
[410] STEINACKER, Privatrecht, S. 211.
[411] Schrot, Mehl, Grütze, Gries oder Graupen – s. STEINACKER, Privatrecht, S. 212.
[412] STEINACKER, Privatrecht, S. 213.
[413] STEINACKER, Privatrecht, S. 213 Fn. 13 m. w. N.
[414] STEINACKER, a. a. O.
[415] HESSE, a. a. O., S. 263.
[416] HESSE, a. a. O., S. 263.
[417] STEINACKER, Privatrecht, S. 2 f. m. w. N.