Abschnitt 3

2.3. Folgen für Rechtsanwendung und Gesetzgebung

Mit Inkrafttreten der NLO wurde 1832 für das Handeln der dreistufigen Verwaltung im Herzogtum wie für die Gesetzgebung dort eine neue verfassungsrechtliche Grundlage geschaffen. Für die Verwaltung bedeutete die neue Verfassung einen großen Fortschritt, indem sie die verfassungsmäßige Bindung aller Staatsdiener an das Gesetz brachte, das Staatsministerium[170] als oberste Behörde bestimmte und die Leitung von Landesverwaltung und Polizei den unmittelbar dem Staatsministerium unterstellten Kreisdirektionen[171] übertrug.[172] Mit den Reformen der Verwaltung gingen auch personelle Veränderungen einher: stammten die Oberhauptleute, deren Können meist auf Erfahrung beruhte, in der Regel aus dem Grund besitzenden Landadel, waren die neuen Kreisdirektoren durchgängig bürgerliche Verwaltungsfachleute mit entsprechender juristischer Vorbildung.[173]

Die Gesetzesbindung regelte ausdrücklich § 100 NLO. Danach mussten alle ordnungsgemäß verkündigten Gesetze nicht nur von allen Landeseinwohnern, sondern auch allen Behörden und Gerichten befolgt werden. Eine bis dahin möglicherweise geltende Rechtsunsicherheit über die Geltung von Gesetzen und ihre Abgrenzung von Verordnungen und Verfügungen war damit ausgeräumt.[174]

Für die Normsetzung folgte aus der Gesetzesbindung der Verwaltung, dass – sollte sie zukünftig im Herzogtum die „Interessen des Flusses wahren“ – entsprechende Rechtsgrundlagen erst geschaffen werden mussten, soweit sie nicht vorhanden waren. Durch die Bindung aller staatlichen Gewalt an das Gesetz traf die NLO auch Regelungen im Hinblick auf den Vollzug durch die Verwaltungsbehörden und die Rechtsanwendung durch die Gerichte. Auch das sollte sich auf die Ausgestaltung eines neuen Wasserrechts auswirken, da das neben den materiellen Vorschriften nun auch Regelungen zur Zuständigkeit von Behörden und zum Verwaltungsverfahren enthalten musste. Vor allem durch die Gesetzesbindung der Verwaltung wurden damit die Voraussetzungen für ein Verwaltungsrecht im modernen Sinn erst geschaffen. Ebenso durch die Anerkennung von Grundrechten, die für Eingriffe in Freiheit und Eigentum des Bürgers gesetzliche Grundlagen verlangten.

Nachdem die NLO auch den Verwaltungsrechtsschutz – womit nicht Schutz des Bürgers durch das Verwaltungsrecht, sondern vielmehr Rechtsschutz vor der Verwaltung gemeint war –[175] zum Teil neu geregelt hatte, achteten die Zivilgerichte in der Spruchpraxis nach 1832 strikt auf die Einhaltung der Gesetzesbindung: Jede Verwaltungsmaßnahme hatte „in der gesetzlichen Form“ zu erfolgen.[176] Bei ihrer Überprüfung stellten die Gerichte hohe Anforderungen: Bereits das Übersehen von Ressortgrenzen etwa führte zu einem Gesetzesverstoß, eine im Gesetz nicht vorgesehene Nebenbedingung war unzulässig. Selbst der Vollzug einer Verwaltungsverfügung setzte das Bestehen einer gesetzlichen Grundlage voraus.[177] Ausnahmen von der Gesetzesbindung gab es für die Eingriffsverwaltung nicht: auch mit dem allgemeinen Hinweis auf die Notwendigkeit einer Verfügung konnte sie die Gesetzesbindung nicht unterlaufen. Allenfalls die Möglichkeit der Analogie bot einen zivilprozessualen Ausweg, so dass sich ausnahmsweise auch ein Enumerativkatalog zugunsten der Verwaltung erweitern ließ.

Im Ergebnis war damit nicht zuletzt die durch den zivilprozessualen[178] Verwaltungsrechtsschutz gesicherte Gesetzesbindung der Verwaltung, die als Grundlage der Verwaltungsverfassung gewahrt war und von der die Justiz der Exekutive keine Abweichungen gestattete,[179] einer der Gründe für den Erlass eines neuen öffentlich-rechtlichen Wasserrechts im nachkonstitutionellen Herzogtum. Das entsprach ganz dem Trend der Zeit: Mit dem bürgerlichen Rechtsstaat, also allgemein ab etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts – in Braunschweig mit Inkrafttreten der neuen Verfassung schon etwas früher, wurde die Verwaltung zur rechtlich geregelten Staatstätigkeit,[180] die „Herschafft des Verwaltungsrechts“ begann.[181] Für ein die öffentliche Verwaltung zum Handeln berechtigendes oder verpflichtendes neu zu erlassendes Wasserrecht folgte daraus, dass es nur öffentlich-rechtlich sein konnte, sollten Verfassung und Verwaltung im Herzogtum – in Anlehnung an die Grundidee von Mohl – „wie Grundsatz und Anwendung“ aufeinander bezogen sein.[182]

Die neuen verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen alleine erforderten aber noch nicht den Erlass eines neuen Wasserrechts, denn noch bestand kein akuter Regelungsbedarf. Das sollte sich erst einige Jahre später nach erfolgreicher Bauernbefreiung und insbesondere der Flurbereinigung in Folge der Agrarreformen von 1834 ändern.


[170] Zum Staatsministerium s. § 158 NLO.
[171] Zu den Kreisdirektionen s. § 160 NLO sowie das auf dessen Grundlage erlassene Gesetz, die Organisation und den Wirkungskreis der Kreis-Directionen und der, durch dieselben zu bildenden Landes-Direction betreffend vom 12. Oktober 1832, GVS Nr. 23.
[172] DIEDERICHS, Landkreise, S. 27.
[173] MUNDHENKE, Entwicklung, S. 130 f; THEISSEN, Industrielle Revolution, S. 101.
[174] Vgl. POLLMANN, Landschaftsordnung, S. 16.
[175] HENNE, Verwaltungsrechtsschutz, S. 3 Fn. 9.
[176] HENNE, Verwaltungsrechtsschutz, S. 35 m. w. N. aus der Rechtsprechung.
[177] HENNE, Verwaltungsrechtsschutz, S. 36 m. w. N. aus der Rechtsprechung.
[178] FIGGE, Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 183 m. w. N., weist darauf hin, dass § 195 NLO – „Die Verfügungen aller nichtgerichtlichen, d. h. der Verwaltungsbehörden und Beamten, innerhalb des denselben angewiesenen, von der Rechtspflege getrennten Wirkungskreises, gehören nicht zur Competenz der Gerichte, und können in ihrer Ausführung von denselben nicht gehemmt werden“ – von den braunschweigischen Gerichten jedenfalls bei Eingriffen des Staates in Privatrechte mit der Begründung umgangen worden sei, die Zuständigkeitsbeschränkung gelte nur dann, wenn sich die Verwaltung im Rahmen der geltenden Gesetze gehalten habe. Ob das im Einzelfall zutraf oder nicht, durfte zunächst einmal zum Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens gemacht werden, so dass die braunschweigischen Gerichte durch die sehr großzügige Auslegung des § 195 NLO den Bürgern einen wesentlich bessere Rechtsschutz gewähren konnten als in allen übrigen deutschen Staaten, wo die Kontrolle der Verwaltung durch die Zivilgerichte unbekannt war.
[179] HENNE, Verwaltungsrechtsschutz, S. 38.
[180] Vgl. FORSTHOFF, Lehrbuch I., S. 3.
[181] STOLLEIS, Geschichte, Zweiter Band, S. 263.
[182] STOLLEIS, Geschichte, Zweiter Band, S. 261.