Einleitung

Es leuchtet […] ein, daß der öffentliche Fluß, welcher dem Publicum und nicht nur der gegenwärtigen, sondern auch den künftigen Generationen angehört, einer Vertretung zum Schutze gegen […] schädliche Eigenmächtigkeiten bedarf. Die Flußverwaltung – […] – hat diese Vertretung zu übernehmen, insbesondere im öffentlichen Interesse die Rechtsstreite gegen Jeden zu führen, der die ihm gestattete Anlage über die in der Concession gezogenen Grenzen ausdehnt.“[1]

Das forderte im Mai 1851 die Commission für Prüfung des Gesetz-Entwurfs über Ent- und Bewässerungsanlagen[2] in ihrem Bericht an die Abgeordneten der Landesversammlung des Herzogtums Braunschweig. Ein nur auf den ersten Blick überraschend fortschrittliches Postulat: Anders als das grundsätzlich allen Menschen unbegrenzt zur Verfügung stehende Umweltmedium Luft war das Wasser noch nie ein freies, jedem jederzeit in beliebiger Menge zur Verfügung stehendes Gut. Dementsprechend wurde die Nutzung des Umweltmediums Wasser bereits in vor- und frühindustrieller Zeit durch Wasserrecht[3] geregelt,[4] das sich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts auch in Braunschweig[5] aber nur langsam entwickelte und noch über­wiegend gewohnheits- und gemeinrechtlich geprägt war.[6] Damals waren insbesondere die Funktionen des Wassers als Lebens- und Produktionsmittel sowie als Medium des Schadstofftransports von Bedeutung.[7] Obwohl bereits vorindustrielle Gewerbe in einer gewissen Ambivalenz zur Umweltbelastung standen, wie insbesondere die Zuckerfabriken im kleinen Herzogtum, die auf saubere Umweltbedingungen – vor allem: reines Wasser – angewiesen waren, gleichzeitig aber durch ihre Produktion Gewässer- und Luftverschmutzungen verursachten,[8] die mit Einsetzen der Industrialisierung[9] deutlich zunahmen, wurde den Funktionen des Wassers als Lebens- und Produktionsmittel bzw. Standortfaktor einerseits sowie als Medium des Schadstofftransports andererseits erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts steigende Aufmerksamkeit gewidmet. Im Herzogtum Braunschweig ab 1849, nachdem es bei der Gewässernutzung zu Konflikten gekommen war, die von den angerufenen Verwaltungsbehörden auf der Grundlage des geltenden Wasserrechts nicht (mehr) geregelt werden konnten. Anlässlich eines konkreten Nutzungskonflikts wurde der Ruf nach dem Gesetzgeber laut, worauf die Regierung im November 1850 den Entwurf für ein Gesetz über Entwässerung und Bewässerung der Grundstücke und über Stauanlagen[10] vorlegte, das Vorschriften über die geordnete Nutzung der Gewässer für bestimmte Zwecke enthalten und daneben das Verwaltungsverfahren umfassend regeln sollte. Nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens traten allerdings nur Teile des ursprünglichen Entwurfs auf zwei Gesetze verteilt in Kraft,[11] die jeweils im Verlauf des Verfahrens um von verschiedenen Akteuren vorgeschlagene Vorschriften ergänzt worden waren.

Nach Einsetzen der Industrialisierung im Herzogtum erreichte die Inanspruchnahme der Hydrosphäre eine Intensität, die ein enormes Konfliktpotential in sich barg,[12] da verschiedene Arten der Wassernutzung miteinander kollidierten bzw. ineinander eingriffen: Die Ableitung von Wasser aus den kleinen Flüssen und Bächen zur Trinkwasserversorgung und Bewässerung bewirkte eine Verringerung des Wasserstandes und der Wasserkraft. Die Einleitung von Abwässern[13] beeinträchtigte die Qualität des Wassers für den Gemeingebrauch, die Bewässerung, die Fischzucht und nicht zuletzt die Trinkwassergewinnung. Die Nutzung der Triebkraft des Wassers schließlich behinderte die weitgehende Ausübung der Bewässerung usw.[14] Das erzeugte einen steigenden Handlungsbedarf: Anfangs auf Seiten der staatlichen und kommunalen Verwaltung, in der Folgezeit aber vor allem auf Seiten des Gesetzgebers. Anlässlich eines Anfang der 1870er Jahre erneut aufgetretenen konkreten Regelungsbedarfs stellte daher die Regierung das Wasserrecht insgesamt auf den Prüfstand und legte schließlich den Entwurf für ein Wassergesetz für das Herzogthum Braunschweig vor,[15] das am 20. Juni 1876 verabschiedet wurde.


[1] Verhandlungen der Abgeordneten-Versammlung des Herzogthums Braunschweig, 6. ordentl. Landtag von 1848-1851, Anl. 1 zu Protokoll Nr. 162., S. 5.
[2] Der Kommission gehörten die Abgeordneten Schaper, von Hohnhorst, H. Caspari, Köpp, Denecke, Vieweg und E. Trieps an.
[3] Der Ursprung des Begriffs liegt geschichtlich weit zurück und lässt sich nicht mehr eindeutig feststellen. Erwähnt – als „Wasser Recht“ – wird er jedenfalls 1570 in dem vom Kurfürstlich-Pfälzischen Hof-Kammerrat Noe MEURER verfassten „Wasser Recht Vnnd Gerechtigkait […]“, s. MEURER, S. 52 ff. Allgemeingut der deutschen Rechtsliteratur ist er seit dem 18. Jahrhundert und wurde später definiert als: „Summe der Rechtsnormen, die sich auf ober- und unterirdische Gewässer beziehen, gleichgültig, wie sie benannt sind und welche Materien sie außerdem regeln.“, s. SEILER, Gewässerbenutzung, S. 2. Heute umfasst das Wasserrecht im weiteren Sinne das Recht der Wasserwirtschaft und das Wasserwegerecht, vgl. SALZWEDEL, Wasserrecht, Rn. 1.
[4] OLMER, Wasser. Historisch, S. 10 m. w. N.
[5] Zur Entwicklung dort siehe NLA-StA WF, 12 Neu 3, Nr. 492, S. 7 ff. sowie unten, Erster Teil, 4., S. 90 ff.
[6] Vgl. KLOEPFER, Geschichte, S. 15.
[7] Auf die vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten und Bedeutungsfacetten von Wasser, die von religiösen Zusammenhängen bis zu machtpolitischen Implikationen reichen, kann im Kontext der Arbeit nicht eingegangen werden. Vgl. dazu auch OLMER, Wasser. Historisch, S. 9 m. w. N.
[8] Vgl. KLOEPFER, Geschichte, S. 19 m. w. N.
[9] Begriffe wie Industrie und Industrialisierung wurden und werden nicht immer in einheitlichem Sinne gebraucht. Im Kontext der Arbeit wird ihnen folgender Begriffsinhalt beigemessen: Industrie = maschinenorientierte Arbeit im gewerblichen Bereich, Industrialisierung = Übergang von der Handwerksorientierten zur maschinenorientierten Tätigkeit. Wichtigste Kennzeichen waren: mechanische Antriebe ersetzten biologische (Dampfmaschine), Spinnräder wurden durch Spindelmaschinen, Hand- durch Maschinenwebstühle ersetzt. Hinzu kamen neue technische Verfahren etwa in der Eisenerzeugung (Hochofen), der Eisenverarbeitung (Walzwerke, Werkzeugmaschinenproduktion etc.) und in der Zuckerindustrie (Diffusionsverfahren) sowie Transportmittel wie Eisenbahn, Dampf- und Eisenschiffe, s. HENNING, Industrialisierung, S. 111 f.; Ders., S. 15 ff., unterscheidet zwischen drei Phasen der Industrialisierung: einer Vorbereitungsphase (etwa 1780-1835), der ersten (1835-1873) und der zweiten Industrialisierungsphase (1873-1913); OLMER, Wasser. Historisch, S. 10.
[10] 6. ordentl. Landtag von 1848-1851, Anl. 11 zu Protokoll Nr. 146., S. 3-41.
[11] Das Gesetz, die Erhaltung der öffentlichen Flüsse und sonstigen Wasserzüge, sowie Veränderungen an denselben betreffend vom 19. Dezember 1851, GVS Nr. 57 und das Gesetz über die Entwässerung der Grundstücke vom selben Tag, GVS Nr. 4 de 1852.
[12] Vgl. OLMER, Wasser. Historisch, S. 11.
[13] Abwasser ist das durch häuslichen, gewerblichen und industriellen Gebrauch verunreinigte abfließende Wasser (Schmutzwasser) sowie das geringer verschmutzte Niederschlagswasser aus dem Bereich der Ansiedlungen, vgl. AHLERS/EGGERT, Abwasserverband, S. 4.
[14] Beispiele nach KLOESS, Wasserwirtschaft, S. 17 f.
[15] Wassergesetz für das Herzogthum Braunschweig vom 20. Juni 1876, GVS Nr. 64.